Das Land der Gegensätze
Einfamilienhäuser und standardisierte Wohnblocks. Familienbetriebe und Filialisierung. Bevölkerungswachstum und Schrumpfung. Vorarlberg ist ein Land der Gegensätze. Wohin aber führen die kommenden Jahre und Jahrzehnte? Raumforscher Johannes Herburger wagt für die VN eine Annäherung.
Gastronomie und Einzelhandel. Der Einzelhandel ist der Gastronomie mit einer Entwicklung um Jahrzehnte voraus. „Diese ist nicht unbedingt positiv“, sagt Herburger. Er spricht von einem Trend der Standardisierung und Filialisierung, der sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verschärfen könnte. Dies sei heute schon bei Großbauten wie am Garnmarkt oder Jahnplatz erkennbar, wo man Stadtteile wie Einkaufszentren managt. Eine Entwicklung Richtung Monopol oder Oligopol schließt der Raumforscher auch in der Gastronomie nicht aus. Der Lebensmittelmarkt ist bereits hochkonzentriert. Rewe und Spar erwirtschaften rund zwei Drittel des gesamten Umsatzes in Österreich, erklärt der Wissenschafter. Daneben erkennt er aber auch einen Trend zu Individualisierung und erstarkten Nischen – meistens aber im Hochpreissegment.
Frankenkurs. „Für den Einzelhandel und die Gastronomie hätte es massive Auswirkungen, wenn sich der Frankenkurs wieder ändert“, erläutert Herburger. Vor allem Diskonter und Einkaufszentren hätten auf Grund des Zulaufs von Schweizer Einkaufstouristen bauliche Tatsachen geschaffen, die langfristig nicht nachhaltig sind. Ein schwächerer Frankenkurs gegenüber dem Euro – damit wäre Einkaufen in Vorarlberg für Schweizer nicht mehr so günstig – könnte demnach zu einem massiven Leerstandsproblem nicht nur in den Stadt- und Ortszentren, sondern auch auf der Wiese führen. Das sei in der Raumplanung zu berücksichtigen.
Immobilien. Das Gesamtbild des Rheintals werde sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht von einem ins andere Extrem verändern. Die Einfamilienhausstruktur bleibe dominant, aber es werde auch im verdichteten Wohnblockbereich Bewegung geben. „Wenn der Immobilienpreisdruck anhält, werden wir viele standardisierte Wohnblöcke sehen.“ Das ändere nichts an der Tatsache, dass 75 bis 80 Prozent des Vorarlberger Gebäudebestandes Ein- oder Zweifamilienhäuser seien. „Die wird man nicht abreißen können. Wir müssen uns aber die Frage stellen, wie wir damit umgehen.“ Kreative Planung gehöre in den Mittelpunkt. „Kann man die Wohnform zum Beispiel so gestalten, dass sich bei Haushaltsveränderungen zwei Wohneinheiten aus einem Einfamilienhaus machen lassen?“
Schrumpfung. Während die Bevölkerung im Rheintal, Walgau sowie im vorderen und mittleren Bregenzerwald wächst, gibt es ländliche Regionen, deren Einwohnerzahl stagniert oder schrumpft. Vor allem das hintere Große Walsertal, der Arlberg, das hintere Klostertal und das Montafon seien davon betroffen, sagt Herburger. Hier gehe es um Dynamiken, die sich fast nicht mehr umkehren ließen. Wandern Junge ab, fehlen deren Kinder. In Folge steige die Alterung exponentiell. Es kommt zu leerstehende Einfamilienhäusern und höheren Pro-Kopf-Kosten für Wasser- und Kanalanschlüsse. Um den Erhalt von Schulen oder Kindergärten müsse gekämpft werden. „Das ist eine Abwärtsspirale.“ Ob zum Beispiel günstige Grundstücksauf als Anreize für Zuzug helfen? „Der Immobilienpreis ist nicht der wesentliche Teil der Entscheidung. Wir sehen, dass die Wanderungen eher in die teuer werdenden Regionen stattfinden. Das ist ein Spannungsfeld, über das in Vorarlberg nicht gerne gesprochen wird.“ Nichtsdestotrotz ziehen auch immer neue Menschen in die Abwanderungsregionen. Sie müssten in den schrumpfenden Regionen als Chance begriffen werden.