Gläserne Menschheit
So, so, diverse Politiker haben sich also aus der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) verabschiedet. An sich wären mir solche Meldungen keine Zeile wert, weil reiner Populismus. Aber in diesem Fall offenbaren sie grandios die Scheinheiligkeit unserer Informationsgesellschaft. Denn ehrlicherweise müssten wir zugeben, dass uns das „World Wide Web“ schon längst bis aufs Unterhemd ausgezogen hat.
Beinahe täglich tummeln wir uns im Internet und hinterlassen dort unauslöschliche Spuren. Wir erledigen Bankgeschäfte, tätigen Bestellungen, füllen bedenkenlos Formulare aus und verschicken Fotos. Andere breiten in Foren ihre Krankheiten aus wie Gebetsteppiche. Oder hören Sie sich in Arztpraxen um. Worüber reden die Menschen dort? Am meisten über ihre Wehwehchen.
Und nicht zu vergessen die Diagnosezettel, die mannigfach auf Beifahrersitzen von Krankentransportern durchs Land kurven. Beschwert sich darüber jemand? Nein. Und warum nicht? Einfach, weil wir denen, die über diese Unterlagen wachen, vertrauen. Das haben übrigens auch jene Patienten getan, deren Ärzte die Daten gegen Bares verscherbelten. Es brauchte nicht ELGA, um zu wissen, wie löchrig der Datenschutz in Wirklichkeit ist.
Es geht längst nicht mehr nur um den gläsernen Patienten. Die halbe Menschheit ist gläsern. Und dafür hat sie zum größten Teil selbst gesorgt. Aber trösten Sie sich: Verglichen mit anderen Aktionen ist ELGA nicht einmal ein laues Lüftchen. Nur können wir uns aus den Klauen internationaler Bespitzelungen nicht abmelden.
marlies.mohr@vorarlbergernachrichten.at
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