Medizin und Zuwendung

Gesund / 17.01.2014 • 11:42 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Otto Gehmacher verstand es in kompetenter und feinfühliger Art, die Anliegen der Palliativmedizin zu vermitteln.  Foto: stiplovsek
Otto Gehmacher verstand es in kompetenter und feinfühliger Art, die Anliegen der Palliativmedizin zu vermitteln. Foto: stiplovsek

Klärung des Patientenwillens ist in der Palliativbetreuung ein wichtiges Thema.

Feldkirch. (VN-mm) So viel Interesse für ein Thema, dem viele lieber und möglichst lange aus dem Weg gehen: Das überraschte OA Dr. Otto Gehmacher dann doch. Der Leiter der Palliativstation im LKH Hohenems sah sich beim Mini Med-Vortrag im LKH Feldkirch einem wohlgefüllten Panoramasaal gegenüber. „Man stirbt nicht schneller, wenn man zu einem solchen Vortrag geht“, merkte er dezent humorig an. Tatsächlich war wenig vom Sterben die Rede. Stattdessen prägten Lebendigkeit und Zuversicht die Aussagen und Bilder, die Otto Gehmacher vorbereitet hatte.

Besonders berührend: ein Vergleich zwischen dem preisgekrönten Haneke-Film „Amour“ und dem realen Dasein. Im einen Fall bringt der Mann seine todkranke Partnerin, mit der er seit ihren schweren Schlaganfällen in völliger Isolation lebt, aus Verzweiflung bzw. Liebe um. Im anderen wird der von der ganzen Familie liebevoll umsorgten und palliativmedizinisch betreuten Frau ein natürliches Sterben ermöglicht. Deutlicher kann die Absage an die aktive Sterbehilfe wohl nicht ausfallen.

Angehörigenbetreuung

Im Mittelpunkt der Palliativmedizin steht die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und deren Angehörigen. Dabei geht es aber nicht nur um die Linderung körperlicher Symptome. „Wir betrachten die Patienten ganzheitlich“, so Otto Gehmacher. Denn seelische und soziale Probleme können ebenfalls zu Schmerzen führen, die keine noch so hohe Morphiumdosis zu lindern vermögen. Deshalb besteht das Team einer Palliativstation aus verschiedensten Berufsgruppen, zu denen neben Ärzten und Pflege auch Seelsorger, Physiotherapeuten, Sozialbetreuer und Ehrenamtliche gehören. Besonders wichtig ist OA Gehmacher die Angehörigenbegleitung. Sie befinden sich in einer besonders schwierigen Situation. „Sie sind nicht krank, leiden aber doch“, weiß der Arzt. Außerdem würden sie im Klinikalltag häufig untergehen. Auf der Palliativstation hingegen gilt das Motto: Für eine Kaffeepause mit Angehörigen ist immer Zeit.

Schmerzbekämpfung

Bei den Patienten geht es in erster Linie um die Symptomkontrolle. Wobei Schmerzen den Betroffenen am meisten zusetzen. „33 Prozent der Patienten wollen wegen der Schmerzen sterben“, zitierte Otto Gehmacher aus einer Studie. Zudem fühlen sich viele im Rahmen der Standardbehandlung mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen. Dabei ist Österreich in Europa führend, was den Verbrauch von Morphiumpräparaten angeht. Andererseits haben vier Milliarden Menschen keinen Zugang zu starken Schmerzmitteln, die, „richtig eingesetzt, ein Segen für Schwerkranke sind“, wie der Palliativmediziner mit Hinweis auf die noch immer grassierende Angst vor Morphium erläutert.

Die Schmerzbekämpfung erfolgt anhand eines von der WHO definierten Dreistufenplans. Sie reicht von der einfachen Medikation über leichte bis hin zu starken Morphiummitteln. Weitere Möglichkeiten sind der Einsatz von Schmerzpumpen und eine invasive Schmerztherapie. Daneben wird auf der Palliativstation aber auch mit Wickeln, Zuwendung und Physiotherapie gearbeitet. „Die Kunst besteht darin herauszufinden, was den Schmerz verursacht“, erklärte Gehmacher am Beispiel einer 30-jährigen Krebspatientin. Geplagt von Sorgen um die Zukunft ihrer kleinen Tochter halfen selbst hohe Morphiumgaben nicht mehr. Linderung brachten schließlich Beruhigungsmittel.

Lebensverlängerung

Auch die Atemnot ist ein Thema, das Menschen große Angst einjagt. Obwohl die wenigsten Patienten den Erstickungstod sterben, müsse diese Furcht ernst genommen werden. Gehmacher: „Es gibt gute Maßnahmen dagegen, wie Medikamente und das Absaugen von Wasser aus der Lunge.“ Immerhin 60 Prozent der Patienten werden wieder entlassen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass ein früher Beginn der Palliativbetreuung lebensverlängernd wirkt. Grund sind die höhere Lebensqualität und die bessere psychische Verfassung. Bei unheilbaren Krankheiten sollte die Palliativmedizin laut Gehmacher deshalb von Anfang an eine Rolle spielen und am besten mit der Standardbehandlung beginnen. Das funktioniert zu seinem Leidwesen aber noch nicht wirklich.

Klärung des Patientenwillens

Häufig gilt es auf der Palliativstation ethische Fragen zu klären. Will der Patient beatmet oder künstlich ernährt werden? Möchte er eine Intensivmedizin. Chemotherapie? Liegt eine Patientenverfügung vor? „Wir wollen keine aktive Sterbehilfe betreiben, sondern ein natürliches Sterben ermöglichen“, stellte OA Dr. Otto Gehmacher klar. Das ist gegeben, wenn auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird. Das wiederum setzt die bestmögliche Klärung des Patientenwillens voraus, besonders, wenn eine Verfügung fehlt. Auch aus diesem Grund würde sich der engagierte Arzt wünschen, dass sich Palliativpflege nicht nur auf eine Station beschränkt, sondern breite Akzeptanz findet. Er selbst ist Palliativmediziner geworden, weil „man es mit bewundernswerten Menschen zu tun hat“.

Wir wollen Patienten ein natürliches Sterben ermöglichen.

otto gehmacher

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