Einsatz, wo das Elend alltäglich ist

Palliativmediziner Otto Gehmacher engagiert sich für die „German Doctors“.
Hohenems. (VN-mm) Seine fachlich-menschliche Art ist gefragt. Mehrmals klingelt das Telefon, und Otto Gehmacher muss das Gespräch kurz unterbrechen. Seine Patienten auf der Palliativstation im Landeskrankenhaus Hohenems sind dem Arzt wichtig. Wichtig ist ihm aber auch, jenen Menschen ein Gesicht zu geben, die in bitterster Armut und ohne medizinische Versorgung leben müssen. Seit Langem schon engagiert sich OA Otto Gehmacher für die Sache der „German Doctors“, vormals „Ärzte für die Dritte Welt“. Diese Hilfsorganisation hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen in den Slums von Großstädten zu helfen. Zum zweiten Mal war Gehmacher jüngst in Chittagong, einer nahezu unbekannten Millionenstadt im Süden von Bangladesch, im Einsatz. Die größten Opfer der Armut sind die Kinder. „Über 40 Prozent sind unterernährt“, erzählt er. Kommende Woche berichtet er im Rahmen von zwei Vorträgen über seine Arbeit in Chittagong.
Der Schein trügt
Mit einer deutschen Kollegin arbeitete der Vorarlberger Arzt in einem, von kanadischen Missionaren gegründeten Ambulatorium. Täglich kommen zwischen 100 und 150 Patienten hierher, um sich behandeln zu lassen. Es ist ein buntes Bild, das sich da bietet. Doch es täuscht oft über die sozialen Verhältnisse hinweg, ebenso wie die saubere Kleidung der Leute. „Viele schämen sich ihrer Armut und leihen sich deshalb Kleider für den Arztbesuch aus“, berichtet Otto Gehmacher. Seine Patienten waren Taglöhner, Rikscha-Fahrer und Näherinnen aus den Slums. Ihr Durchschnittsverdienst liegt bei ein bis zwei Euro pro Tag. Lungenerkrankungen wie Tuberkulose, Asthma und COPD, bedingt durch Unterernährung und das offene Feuer in den Hütten, zählen bei den Erwachsenen zu den häufigsten Erkrankungen. Aber auch Erschöpfung und Überforderung machen die Menschen krank. Ein Besuch im Slum verdeutlicht den Überlebenskampf. „Auf einem Areal von der Größe eines halben Fußballfeldes leben 3000 Personen“, veranschaulicht Gehmacher. Dazu kommt ein Umfeld, das jeder Menschenwürde widerspricht, mit Mücken, Schmutz und Müll. Der Arzt bezeichnet es als Wunder, dass viele Bewohner trotzdem noch körperlich gesund sind.
Kein Geld für Milchpulver
Auf Kinder trifft das weniger zu. Die Wohnverhältnisse setzen ihnen zu. „Immer wieder kamen Kinder in erbärmlichem Zustand, übersät mit Pusteln, juckenden Ausschlägen und Abszessen“, listet Otto Gehmacher auf. Auch Unfälle wie Schnittverletzungen, Verbrennungen und Knochenbrüche sind häufig. Das größte Problem jedoch stellt die Mangelernährung dar. „Es deprimiert, wenn eine Mutter mit einem zweieinhalb Monate alten Säugling, der unter zwei Kilo wiegt, in die Ambulanz kommt, schreiend vor Hunger, weil kein Geld für Milchpulver da ist“, beschreibt Gehmacher seine Gefühle beim Anblick solcher Schicksale.
Für solche Kinder gibt es ein spezielles Ernährungsprogramm, wo sie zwei Mahlzeiten am Tag erhalten und die Mütter gleichzeitig zu Gesundheitsthemen geschult werden. Rund 50 Kinder werden auf diese Weise betreut. „Eine wunderbare, nachhaltige Einrichtung, die unzählige Leben rettet“, merkt Otto Gehmacher an.
Bereichernde Eindrücke
Für die Helfer erwies sich der Einsatz diesmal als schwierig aufgrund der instabilen politischen Lage. Brandbombenanschläge waren an der Tagesordnung. Es gab viele Tote und Verletzte. „Die Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß“, weiß Gehmacher. Dennoch kam er um viele Erlebnisse tief bereichert zurück. Beeindruckt haben ihn vor allem „die Liebe und der Stolz der Einheimischen auf ihr Land, die Fröhlichkeit und der trotz aller Probleme ungeheure Optimismus“.


Stichwort.
Geman Doctors. Die „German Doctors“ sind eine international tätige Nichtregierungsorganisation, die unentgeltlich arbeitende Ärztinnen und Ärzte in Projekte auf den Philippinen, in Indien, Bangladesch, Kenia, Sierra Leone und Nicaragua entsendet. Ziel ist die Gesundheitsversorgung und Ausbildung benachteiligter Menschen in den Einsatzregionen. Die Ärzte arbeiten während ihres Jahresurlaubs oder im Ruhestand für einen Zeitraum von sechs Wochen und verzichten dabei auf jegliche Vergütung. Seit 1983 wurden so über 6400 Einsätze mit mehr als 3000 Medizinern durchgeführt. 2014 sind in den aktuell neun Projekten 316 Einsätze geleistet worden. In Österreich engagieren sich etwa 20 Ärzte bei den „German Doctors“, deren Präsidentin die bekannte Schauspielerin Maria Furtwängler ist.
Diavorträge: 28. April 2015, Götzis, Kulturbühne AmBach, Beginn 20 Uhr; 30. April 2015, Höchst, Pfarssaal, Beginn 20 Uhr