Chancen fürs Leben
Unlängst habe ich im Montafon meinen ersten Berglauf absolviert. Zum einen, weil Alter zuweilen nicht vor Torheit schützt und probieren immer noch über studieren geht. Zum andern, weil das Veranstaltungsformat zu nichts zwang, aber alles zuließ. Rennen, wandern, schlendern: Jede konnte, wie sie wollte. Ich hatte mir vorgenommen, die Sache gemächlich hinter mich zu bringen. Aber meist legt sich bei mir der mit Ehrgeiz beschriftete Schalter schneller um, als ich denken kann, und dann ist es vorbei mit der Gemütlichkeit.
Schauplatzwechsel in die Dolomiten: Am Anstieg zum Einstieg auf die Rosengartenspitze treffen wir zwei Landsleute. Er 80, sie geringfügig jünger, doch beide fit wie Turnschuhe. Vor zwanzig Jahren sei er auch da oben gewesen, erzählt er mit leuchtendem Blick auf das von der Morgensonne beschiene Gipfelkreuz. Inzwischen beschränke er sich auf leichtere Touren. „Alle Achtung“, dachte ich bei mir, denn Spaziergang ist der Klettersteig dort hinauf auch keiner. „So alt zu werden muss das Ziel sein“, bemerkte mein Partner euphorisch. Er hat ja recht. Den Österreichern mangelt es grob an gesunden Lebensjahren, speziell mit fortschreitender Lebensdauer. Da ist noch viel zu holen.
Gut, wir können nicht alles beeinflussen oder dem genetischen Erbe die lange Nase zeigen. Aber nur abwarten und Tee trinken hilft auch nicht weiter. Dafür macht es Spaß, etwas Neues zu versuchen. Kinder sind neugierig. Alte sollten es auch sein. Das hält Herz und Hirn jung. Der Ohrensessel läuft uns nicht davon, aber das Leben, wenn wir ihm keine Chancen mehr geben.
Marlies Mohr
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