Mut zur Muße
Es ist ein schöner Spätnachmittag im Herbst. Einer, der das Prädikat „golden“ tatsächlich verdient. Zwei Frauen sitzen vor einem Café. Über die kalten Sessel haben sie Decken aus weichem Fleece gebreitet. Sonnenstrahlen, die sich da und dort durch die bunten Blätter der Bäume stehlen, zeichnen goldene Sprenkel auf ihre Gesichter. Vor ihnen auf der Wiese tollt ein Hund umher, Rasse unbekannt, aber lustig. Neben ihnen plätschern die Gespräche der anderen Gäste dahin. Die Wortfetzen, die ihnen zufliegen, deuten auf unbekümmerte, leichte Themen hin. Der Tag ist wie geschaffen, alles Schwere für einmal zu vergessen. Aber so ganz ausblenden lässt es sich nicht. Auch die Gedanken und Gespräche der beiden Frauen schweifen immer wieder einmal ab zu Dingen, die sie so lieber nicht gehabt hätten, die aber eine Lösung forderten. Doch allein schon die Möglichkeit, ohne Tabus darüber reden zu können, lässt die Sicht darauf in einem milderen Licht erscheinen.
Ja, das Leben kann ganz schön verquer sein. Zuweilen nötigt es einen zu Entscheidungen, die man als ungerecht empfindet, besonders wenn sie nahestehende Menschen betreffen. Aber deswegen undankbar sein? Nein, das sollten wir nicht. Jeder hat irgendein Päckchen zu tragen. Es kommt nur darauf an, wie wir es schultern. Wir können uns davon niederdrücken lassen und jammern oder uns von der Sonne goldene Sprenkel aufs Antlitz malen lassen, wenn uns danach ist. „Du hättest deine vorletzte Kolumne nicht ‚Zeit für Muße‘ sondern ‚Mut zur Muße“ nennen sollen“, meinte meine Schwester. Das hole ich hiermit nach.
Marlies Mohr
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