Ein Weg ohne ADHS-Medikamente

Vom persönlichen Umgang mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. VN.at-Interview mit Anna Maria Sanders (58) über den Zappelphilipp und andere Lösungen.
Salzburg Seit 14 Jahren beschäftigt sich Anna-Maria Sanders mit ADHS und „schwierigen Kindern“. Grund ist die eigene Betroffenheit. Sanders hat einen mittlerweile 18-jährigen Sohn mit ADHS. Die Eltern entschieden sich gegen Medikamente. „Heute ist er ein rundum zufriedener, liebenswerter junger Mann, der gerade erfolgreich seinen beruflichen Lebenstraum verwirklicht“, erzählt die Mutter stolz. Ihre Erfahrungen hat sie mittlerweile in Büchern festgehalten.
Was hat Sie damals veranlasst, keine medikamentöse Hilfe für Ihren Sohn in Anspruch zu nehmen?
Ich war damals noch nicht so umfangreich über ADHS und die diversen Behandlungsmöglichkeiten informiert. Natürlich wurden uns auch Medikamente vorgeschlagen, doch ich hatte Angst vor den Nebenwirkungen. Darüber hinaus war der Leidensdruck bei uns nicht so groß, wie das in anderen Familien der Fall sein mag. So entschieden wir uns zunächst einmal dagegen und blieben dann bei dieser Entscheidung, da es keinen Grund gab, sie zu revidieren.
Wie Sie selbst sagen, ist der Umgang mit ADHS nicht einfach. Würden Sie den Weg wieder gehen?
Den Weg ohne Medikamente? Ja, eigentlich schon. Das einzige, wobei ich mir Medikamente für unseren Sohn gewünscht hätte, wäre die Schule gewesen. Die Konzentration für länger als ein paar Minuten aufrecht erhalten zu können, wäre hilfreich gewesen. So musste unser Sohn am Nachmittag gemeinsam mit mir vieles nachlernen. Das hätte man ihm mit Ritalin oder ähnlichem ersparen können.
Aus Ihrer Erfahrung: Wann geht es ohne Medikamente und wann nicht?
Medikamente sollten unbedingt gegeben werden, wenn durch die bisherigen Maßnahmen und Therapien nach einigen Monaten keine befriedigende Besserung erkennbar ist; wenn eine deutliche Beeinträchtigung im Leistungs- und sozialen Bereich mit Leidensdruck bei Kindern und ihrem Umfeld zu erkennen ist; wenn Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes besteht und es zu krisenhaften Zuspitzungen kommt.
Wie können Eltern eine gute Entscheidung treffen?
Indem sie sich diese vier Punkte als Richtschnur nehmen, sich mit dem behandelnden Arzt intensiv austauschen und ihr Kind genau beobachten. Wer viel Zeit mit seinem Kind verbringt, es liebevoll, aber dennoch mit klaren Regeln und Grenzen begleitet, wer viele Gespräche mit seinem Kind führt und eine gute Beziehung zu seinem Kind pflegt, weiß, was sein Kind braucht und wird die richtige Entscheidung treffen.
Sind Ärzte oft zu schnell mit der Verschreibung von Ritalin?
Im 21. Jahrhundert schieben Ärzte prinzipiell öfter einmal zu schnell einen Rezeptzettel über den Schreibtisch. Das ist nicht nur bei ADHS so. Wir brauchen wieder mehr Zeit für unsere kleinen und großen Patienten, um sicher sagen zu können, wann welches Medikament nötig bzw. ob eine Medikation überhaupt sinnvoll ist. In unserer schnelllebigen Welt ist das jedoch nicht einfach. Schnelle Lösungen werden oft bevorzugt, und so fällt die Entscheidung zu oft auf die Verabreichung eines Medikaments anstatt ein Elterntraining zu „verordnen“.
Tragen auch Pädagogen diesbezüglich eine Mitverantwortung? ADHS-Kinder in einer Klasse sind bekanntermaßen schwierig.
Ja und nein. Unsere Pädagogen im deutschsprachigen Raum werden kaum in Bezug auf ADHS ausgebildet. Fällt dann ein Kind im Kindergarten oder in der Schule auf (statistisch gesehen ist in jeder Schulklasse so ein Kind zu finden), wissen sie oft nicht, wie sie sich verhalten sollen und fühlen sich verständlicherweise schnell mit dem Störenfried überfordert. Hier würde ich mir wirklich einen stärkeren Fokus auf ADHS-spezifische Symptome und Lösungsansätze in der Ausbildung wünschen.
Zur Person
Anna Maria Sanders
Geboren 1961
Werdegang Germanistikstudium an der Universität Salzburg, Erwerb eines „Master of Education“ an der University of Utah, Sprachlehrerin, Buchautorin
Wohnort Salzburg
Familie verheiratet, 2 Söhne
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