Bedachter Griff zum Skalpell bei Rückenschmerzen

MedKonkret befasste sich mit einem weitverbreiteten Leiden.
Feldkirch „Sie müssen nicht in die Ferne schweifen, nach Innsbruck oder Wien fahren. Wir können das gesamte Spektrum der Wirbelsäulenchirurgie, auch schwierige und komplexe Eingriffe, anbieten.“ Primar René El Attal, Leiter der Orthopädie und Unfallchirurgie im LKH Feldkirch, freute sich sichtlich, dies einer größeren Öffentlichkeit bekannt geben zu können. An seiner Seite der Mann, der das mit seinem Team möglich macht: Oberarzt Michael Götzen. Im September 2019 wechselte Götzen von Innsbruck, wo er nicht nur seine Berufslaufbahn startete, sondern zuletzt auch die Leitung der Wirbelsäulenchirurgie innehatte, nach Feldkirch, wo sein Können bereits sehr gefragt ist.
Spezifisch und unspezifisch
Beim letzten MedKonkret-Vortrag im Frühjahrssemester stellten die versierten Mediziner chirurgische Behandlungsmöglichkeiten bei hartnäckigen Rückenschmerzen vor. Beide betonten aber, dass alle konservativen Therapien ausgeschöpft würden, bevor der Griff zum Skalpell erfolgt. Ausnahmen bilden Notfälle wie Bandscheibenvorfälle mit Lähmungserscheinungen. Auch Wirbelsäulenverkrümmungen und -verengungen sind häufig ein Fall für den Chirurgen, ebenso Beschwerden aufgrund eines Wirbelgleitens. Bei Rückenschmerzen unterscheidet die Medizin zwischen unspezifisch, das sind die meisten, und spezifisch. Letztere führen bei elf Prozent der Betroffenen zu starken Beeinträchtigungen. Ein akuter Rückenschmerz ist laut Michael Götzen in der Regel nach sechs Wochen erledigt und kann vom Hausarzt therapiert werden. Er oder der niedergelassene Orthopäde seien erste Ansprechpartner.
Ins Spital kommen unter anderem schwere Bandscheibenvorfälle im Lendenwirbelbereich. Diese Eingriffe zählen zu den erfolgreichsten in der Wirbelsäulenchirurgie. Bei Bandscheibenvorfällen an der Halswirbelsäule werden mit Infiltrationen gute Ergebnisse erzielt. Abgenützte Bandscheiben sind ebenfalls eng mit Rückenschmerzen verknüpft. „Eine Operation ist aber nicht das Mittel der Wahl“, erklärte Götzen. Mindestens ein Jahr werde konservativ behandelt. Instabile Wirbelkörper bedeuten ebenso ein hohes Risiko für anhaltende Rückenschmerzen. Es muss jedoch nicht in jedem Fall operiert werden. Auch die konservative Therapie bringt hier gute Ergebnisse.
Ein großes Thema ist die alternde Wirbelsäule. „Jeder bekommt im Alter bis zu einem gewissen Grad einen Buckel“, sagte Michael Götzen. Operiert wird ein solcher jedoch nur im äußersten Notfall, dann nämlich, wenn die Bandscheiben durch die Veränderung des Schwerpunkts massiv belastet werden. Eine solche OP wird am Computer geplant und dauert bis zu acht Stunden, die Rekonvaleszenz bis zu einem halben Jahr.
Fragen der Zuseher
Seit Jahren leide ich an einem Wirbelgleiten, das meine Bewegungsfreiheit sehr einschränkt. Inzwischen werden die Probleme immer größer. Wie komme ich zu einer Gesprächsmöglichkeit über neue Behandlungsmethoden?
Götzen: Wir haben für individuelle Abklärungen eine Spezialambulanz eingerichtet, die aufgrund der Coronakrise leider drei Monate gesperrt werden musste. Mittlerweile ist das Orthopädie-Sekretariat wieder dabei, Termine zu vergeben.
Wie oft kommt es vor, dass nach einer Operation an der Wirbelsäule weiter Rückenmarksflüssigkeit austritt?
Götzen: Bei Verletzungen des Rückenmarks kann es vorkommen, dass nach einem Eingriff ein Leck bleibt und Nervenwasser austritt. Die Zahlen zu dieser Komplikation gehen stark auseinander. Bei Personen, die erstmalig operiert werden, liegt die Rate bei drei Prozent, bei schon voroperierten Patienten kann sie 13 bis 20 Prozent betragen, je nachdem wie vernarbt der Bereich schon ist.
Wie kann es zu einem Rezidiv nach einer Bandscheiben-OP kommen?
Götzen: Das Risiko für ein Rezidiv nach einem Bandscheibenvorfall wird mit etwa 13 Prozent angegeben. Bei Schwerarbeitern oder jungen Patienten mit Abnutzungen im Wirbelbereich kann eine Versteifung überlegt werden, um einem Wiederauftreten vorzubeugen.
In Deutschland wird nach einer Bandscheiben-OP die Lücke mit Gel aufgefüllt. Gibt es das bei uns auch schon?
Götzen: Ich kenne die Methode und wir wurden auch schon für eine Studie angefragt. In Amerika ist es schwierig, für dieses neue Verfahren eine Zulassung zu bekommen, deshalb wird versucht, es in Europa auf den Markt bringen. Ich habe es mir angesehen, das Einbringen ist relativ invasiv. Aus diesem Grund möchte ich noch Langzeitergebnisse abwarten, zumindest solche über zwei Jahre.
Ist eine schon länger bestehende Lähmung im Waden- und Zehenbereich durch einen Eingriff noch behebbar oder lässt sich eine Lähmung nicht mehr korrigieren?
Götzen: Es hängt davon ab, wie stark die Lähmung ist. Bei einer schwachen Ausprägung lassen sich auch nach einem Jahr noch gute Ergebnisse erzielen, bei starker Ausprägung kann man nichts mehr machen. Da sind die Nerven schon abgestorben.
Wie äußert sich ein Wirbelgleiten?
Götzen: Wirbelgleiten führt zu belastungsabhängigen Kreuzschmerzen. Wenn man in das Holzkreuz geht oder sich vorbeugt und damit einen Schmerz auslöst, können das erste Symptome eines Wirbelgleitens sein.
Ab welchem Alter wird bei Kindern eine Wirbelsäulenverkrümmung operiert?
Götzen: Die Einteilung ist sehr komplex. Eine OP würde frühestens mit dem dritten Lebensjahr durchgeführt, weil die Narkose auf das Gehirn des Kindes großen Einfluss haben kann.
Welche Sportarten eignen sich zur Gesunderhaltung der Wirbelsäule und welche nicht?
Götzen: Sportarten, bei denen man Rücken- und Bauchmuskeln trainiert, sind gut. Sportarten, die mit Erschütterungen im Bereich der Wirbelsäule verbunden sind, wie etwa Gewichtheben, sollte man vermeiden.
El Attal: Man weiß aus guten Studien, dass Bewegung auch bei Rückenschmerzen in Maßen und dosiert sehr wichtig, Nichtstun hingegen sehr schlecht ist. Bei immer wieder auftretenden Rückenschmerzen, die medizinisch abgeklärt sind, zeigen täglich durchgeführte Übungen großen Nutzen.
Lassen sich Bandscheibenvorfälle verhindern?
Götzen: Das ist eine häufig gestellte Frage. Bandscheibenvorfälle haben neben einer genetischen Disposition viele andere Ursachen. Zum Vergleich: Schwerarbeit hat nur einen gering höheren Einfluss auf das Risiko als Büroarbeit, da etwa langes Sitzen in einer Fehlstellung zu enormer Belastung führt.
Wie lange muss derzeit auf einen OP-Termin gewartet werden?
Götzen: Obwohl wir täglich in drei OP-Sälen arbeiten, füllen sich der Terminkalender schnell. Ich gehe davon aus, dass ein Patient, der am Dienstag in die Ambulanz kommt, im August oder September einen Termin erhält.