Im Wechselbad der Hormone – muss das sein?

Gesund / 28.06.2020 • 15:00 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Im Wechselbad der Hormone - muss das sein?
Mit abnehmendem Östrogenspiegel wird erst spürbar, wie vielseitig das weibliche Hormon ist und was es alles leisten kann bzw. muss. SHUTTERSTOCK

Wechseljahre: Mit oder ohne Hormonersatztherapie entscheidet die Schwere der Beschwerden.

Egg Ob fast problemlos erlebt oder doch schmerzlich geduldet – die Wechseljahre bringen der Frau um die 50 einschneidende Veränderungen. Ihr Körper verabschiedet sich von der Eizellenproduktion und somit von monatlichen Hormonschwankungen und Regelblutungen. Die Produktion der weiblichen Sexualhormone wird reduziert. Es folgt eine natürliche Metamorphose mit mehr oder weniger weitreichenden Folgen für Physis und Psyche.

Fit&Gesund konsultierte Dr. Ulrich Bemetz, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Praxis in Egg, seines Zeichens Fachgruppenobmann in der Ärztekammer Vorarlberg. Der Experte gab folgenden Überblick über die Wechseljahre, Beschwerden und deren Therapie, inklusive der neuesten Forschungsergebnisse.

Was sind die Wechseljahre und welche Folgen haben sie?

In den Wechseljahren kommt es zu einem Abfall der weiblichen Hormone, der Östrogene und der Gestagene, die Monatsblutung erlischt, die Frau kann nicht mehr schwanger werden. Der Hormonabfall ist dabei von Frau zu Frau sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Ungefähr bei der Hälfte der Frauen ist der Hormonmangel so stark, dass es zu Hormonmangelerscheinungen und somit zu Wechselbeschwerden kommt.

Folgen des Hormonmangels (Östrogen) sind: Schweißausbrüche und Wallungen, Schlafstörungen und Neigung zu depressiver Verstimmung, Gewichtszunahme, bei Überwiegen der noch vorhandenen männlichen Hormone kommt es zu Haarausfall, Bildung eines Damenbarts, Zunahme des Bauchumfangs, Hautunreinheiten. Auch kann Bluthochdruck eine Folge sein, Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen stark zu. Das Risiko für Osteoporose und somit für vermehrte Knochenbrüchigkeit mit chronischen Schmerzen steigt. Weitere Erscheinungen: Trockenheit der Scheide, sexuelle Unlust, mehr Blasenprobleme. Das heißt, der Hormonmangel ist nicht nur subjektiv unangenehm, er kann auch eine große Zahl an gesundheitlichen Problemen und Risiken verursachen. Ein zu starker Hormonmangel sollte daher unbedingt behandelt werden.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Therapie von Wechselbeschwerden?

Anhand gesicherter Daten ergeben sich heute klare Empfehlungen, wie und bei welchen Patientinnen Wechselbeschwerden behandelt werden sollen: Zum einen gelten eine überwiegend pflanzliche Ernährung, körperliche und geistige Aktivität, Ausdauertraining, Gymnastik sowie Gelassenheit und seelische Ausgeglichenheit als Grundsätze für ein gesundes Leben in den Wechseljahren. Wenn keine Wechselbeschwerden vorliegen, braucht es keine zusätzliche Therapie. Leichte Beschwerden wiederum können mit pflanzlichen Präparaten behandelt werden. Kommt es jedoch zu starken Wechselbeschwerden leiden die Frauen nicht nur und haben eine verminderte Lebensqualität, sie müssen sogar mit gesundheitlichen Folgen rechnen. Dabei zeigte eine Studie (HER-Studie), dass Frauen, die eine Hormonersatztherapie (HET) erfuhren, gesünder waren, es weniger Sterbefälle gab und sie eine höhere Lebenserwartung hatten als vergleichbare Frauen mit Wechselbeschwerden ohne HET. Sie hatten auch eine deutlich bessere Lebensqualität.

Warum haben aber so viele Frauen (und Ärzte) Angst vor einer Hormonersatztherapie?

Es war schon lange bekannt, dass Frauen, die aufgrund von Wechselbeschwerden mit einer Hormonersatztherapie behandelt wurden, eine viel bessere Lebensqualität und gleichzeitig weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Viele Frauen nahmen Hormone und fühlten sich wohler. Um das genauer zu untersuchen, wurden 2002 in einer großen Studie (HERS) vielen Frauen u.a. mit hohem Herz-Kreislauf-Risiko (60 bis 70 Jahre, Übergewicht, Diabetes, …) hoch dosiert Hormone verschrieben, oft ohne vorliegenden Hormonmangel. Nach einigen Jahren zeigte sich, dass dies nicht funktionierte, und die Frauen sogar mehr Thrombosen und Schlaganfälle und ab einer Therapiedauer von mehr als 5 Jahren einen zunehmenden Anstieg an Brustkrebsfällen hatten.

Man hatte aber den falschen Frauen, im falschen Alter, mit der falschen Indikation und in falscher Dosierung Hormone gegeben. Zu allem Übel reagierte man dann auch noch falsch, indem man die Öffentlichkeit informierte und allgemein vor der Einnahme von Hormonen warnte. Die Zahl der HETs ging drastisch zurück.

Die richtige Schlussfolgerung wäre aber gewesen, dass diese Risiken vor allem bestehen, wenn Hormone falsch und zu hoch ­dosiert angewendet werden.

Was wäre nun die richtige Vorgehensweise?

Starke Wechselbeschwerden sind Folge eines Hormonmangels. Sie können daher am besten und ausschließlich mit einer Hormonersatztherapie ganz beseitigt werden. Dabei gibt es keine Standardtherapie mehr: Die HET soll individuell an die Situation der Patientin angepasst und auf die Dauer der Beschwerden abgestimmt sein. Die HET erfolgt mit einem naturnahen oder nat­uridentischen Östrogen und muss zum Schutz der Gebärmutter mit einem Gestagen kombiniert werden. Eine niedrigere Dosierung und eine angepasste Behandlungsdauer vermindern die Risiken.

Die Vorteile einer Hormonersatztherapie bei starkem Hormonmangel sind nun . . .

  • Verschwinden von Schweißausbrüchen und Wallungen
  • besserer Schlaf
  • weniger depressive Verstimmungen
  • weniger Gewichtszunahme (der Hormonmangel verursacht die Gewichtszunahme, nicht die Therapie des Hormonmangels)
  • Besserung des Haarwuchses, der Nägel und der Haut
  • weniger Zunahme des Bauchumfangs
  • weniger Probleme mit Bluthochdruck, Blutfetten und Herzkreislauferkrankungen
  • Besserung einer Osteoporose und damit Vermeidung von Knochenbrüchen
  • keine Trockenheit der Scheide, bessere sexuelle Empfindungsfähigkeit
  • weniger Blasenprobleme

Wie schaut es mit den Risiken aus?

Bei einer HET steigt das Risiko für Brustkrebs viel geringer als man glaubt, es beträgt gerade einmal einen zusätzlichen Fall pro 1000 behandelter Frauen im ersten Jahr, die Sterblichkeit sinkt aber um fünf Fälle pro 1000 Frauen pro Jahr. Auf das Risiko von Thrombosen muss jedoch geachtet werden. Präparate, die über die Haut wirken (Gel, Pflaster), haben dabei kein Thromboserisiko. Bei Frauen nach Gebärmutterentfernung oder liegender Hormonspirale kann eine reine Östrogentherapie erfolgen; bei einer reinen Östrogentherapie sinkt das Risiko für Brustkrebs sogar um 1 Prozent.

Als hinderlich erweisen sich dabei vor allem die Beipackzettel: Diese sind oft nicht auf dem aktuellen Stand, sie überbewerten die Risiken, der Nutzen wird nicht ausreichend dargestellt, gerade bei der HET sind Fakten teilweise sogar falsch. Besser wäre, sie schildern, welche Nachteile die Nichtanwendung hat.

Auf den Punkt gebracht

  • starke Wechselbeschwerden schaden der Gesundheit
  • starker Hormonmangel kann nur durch Hormonersatz (HET) behandelt werden
  • die HET hat sich sehr geändert, der Nutzen ist heute wissenschaftlich bewiesen
  • die Risiken einer HET sind viel niedriger, der Nutzen einer HET viel höher als allgemein angenommen wird
  • das Wissen um die HET hat sich stark gewandelt, es existieren viele Irrtümer und Vorurteile (auch im medizinischen Bereich), diese schaden letztendlich vielen Frauen
  • wenden Sie sich bei Wechselbeschwerden an eine Ärztin/Arzt mit aktuellem Wissensstand und lassen Sie sich individuell beraten
  • Frauen sollten sich wieder mehr trauen, eine HET zu machen
  • es braucht Vertrauen und eine positive Grundeinstellung zur HET, sonst kann keine Therapie gelingen
  • lassen Sie sich vom Beipackzettel nicht verunsichern
Im Wechselbad der Hormone - muss das sein?
Bemetz

Zur Person

Dr. Ulrich Bemetz

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Fachgruppenobmann bei der Ärztekammer Vorarlberg

Jahrgang 1961

Werdegang Medizinstudium (Uni Ulm und Freiburg von 1981 bis 1987), Facharztausbildung in Wangen (1988 bis 1993), Oberarzt in Dornbirn (1993 bis 2002), eigene Praxis in Egg (seit 1995)

Familie verheiratet, 5 Kinder

Hobbys Familie, alle Arten von Sport, Segeln, Musik