Herzinfarkt ernst nehmen

Gesund / 10.07.2020 • 10:52 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Primar Matthias Frick stellte sich gerne den vielen Fragen der Zuseher. Bewusstseinsbildung ist ihm ein Anliegen.VN/Rauch
Primar Matthias Frick stellte sich gerne den vielen Fragen der Zuseher. Bewusstseinsbildung ist ihm ein Anliegen.VN/Rauch

Eine verspätete Behandlung kann drastische Folgen haben.

Feldkirch Herzerkrankungen scheinen etwas von ihrem Schrecken verloren zu haben. Das ist, neben Corona, eine Erklärung, die Primar Matthias Frick, Leiter der Internen I im Landeskrankenhaus Feldkirch, für den Umstand hat, dass viele Betroffene sich erst spät behandeln lassen. Dabei zählt gerade beim Herzinfarkt auch die Zeit. Im Rahmen einer virtuellen Sprechstunde erläuterte der Kardiologe, worauf es ankommt und beantwortete Fragen der Zuseher.

Im Zuge der Coronakrise wurde immer wieder von Kollateralschäden gesprochen, weil sich viele Patienten nicht mehr ins Krankenhaus getraut hätten. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Ich habe schon das Gefühl, dass sich Patienten teilweise später abklären ließen, weil sie sich aus Angst vor einer Infektion nicht ins Krankenhaus oder zum niedergelassenen Arzt getraut haben. Ich glaube dennoch, dass in Vorarlberg eine kluge Strategie gefahren worden ist, indem im Schwerpunktkrankenhaus in Feldkirch praktisch keine Coronapatienten betreut und damit alle Spezialdisziplinen covidfrei gehalten wurden. So war sehr wohl die Möglichkeit gegeben, Patienten gut zu versorgen. Trotzdem hat eine österreichweite Analyse gezeigt, dass in dieser Zeit weniger Herzinfarktpatienten ins Spital bzw. ins System gekommen sind, was sicher mit Corona zu tun hatte.

Es gab viele Mutmaßungen dazu, so etwa, dass viele Leute während der Coronakrise weniger Stress ausgesetzt waren…

Das ist nachvollziehbar. Es wird durchaus Leute gegeben haben, die weniger Stress hatten, andererseits gab es auch die, die Angst um ihre Existenz haben mussten. Die hatten vermutlich mehr Stress. Man muss das also differenziert sehen.

Nun kommen Herzpatienten nicht erst seit Corona immer später in Behandlung. Lassen sich Gründe dafür benennen?

Wir haben Vermutungen, können es aber nicht beweisen. Wir beobachten tatsächlich schon seit Ende des letzten Jahres, dass Leute mit einem Herzinfarkt später kommen. Dabei ist Zeit auch beim Herzinfarkt ein wichtiger Faktor, denn je schneller ein verschlossenes Gefäß geöffnet wird, umso mehr Muskelmasse lässt sich retten. Dies sollte in den ersten drei bis sechs Stunden geschehen, danach wird es schwieriger. Häufig melden sich Patienten erst am nächsten oder übernächsten Tag. Ein Grund ist wohl, dass Herzerkrankungen aufgrund der guten Behandlungsmöglichkeiten ein bisschen an Schrecken verloren haben, ein anderer, dass Patienten das Risiko falsch einschätzen, wenn es sich nicht um typische Symptome handelt.

Welche Symptome zwingen quasi zum Handeln?

Ein ganz klassischer Symptomkomplex wäre ein Druck oder Brennen auf der Brust, das in die linke Hand ausstrahlt, auch nach fünf Minuten nicht aufhört, sich eher noch verstärkt, kalter Schweiß, Übelkeit und eine blasse Gesichtsfarbe. Daneben gibt es noch andere Hinweise. So berichten Frauen und ältere Personen eher über Atemnot, andere beschreiben einen Schmerz im Oberbauch.

Bedeutet das dann Hausarzt oder doch lieber gleich ins Krankenhaus?

Wenn die Symptome so sind, wie eben beschrieben, dann gleich die 144 wählen und den Notarzt rufen. Auf keinen Fall selber ins Krankenhaus fahren.

Was können die Folgen einer verspäteten Behandlung sein?

Eine verspätete Behandlung kann eine Herzschwäche nach sich ziehen. Das heißt, man kommt schnell außer Atmen, es kann sich Wasser in der Lunge sammeln, man leidet unter geschwollenen Beinen, und es können Rhythmusstörungen entstehen. Deshalb ist es so wichtig, ein verschlossenes Gefäß so früh wie möglich wieder zu öffnen.

Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen?

Die Ernährung spielt eine große Rolle. Je gesünder, umso günstiger. Das gilt vor allem im Zusammenhang mit Übergewicht. Der Cholesterinspiegel lässt sich durch die Ernährung allerdings kaum beeinflussen.

Zur Cholesterinsenkung werden oft Statine empfohlen. Da gibt es aber immer noch unterschiedliche Meinungen über Nutzen und Schaden. Wie stehen Sie dazu?

Die Statine sind zu Unrecht verunglimpft worden, Fakt ist, dass Statine zu den bestverträglichen Medikamenten gehören, die schon vielen Menschen das Leben gerettet haben. Der Nutzen ist auch durch viele Studien eindeutig belegt. Nur wenige Patienten vertragen es nicht, aber für sie gibt es Alternativen.

Müssen Sie bei der Verschreibung von Statinen mit den Patienten noch diskutieren?

Leider ja, nicht unmittelbar nach dem Infarkt, aber in der Prophylaxe, wo Statine noch wichtiger sind. Patienten haben oft falsche Informationen dazu. Ich würde jedem Gefäß- und Risikopatienten empfehlen, sie zu nehmen, weil sich beim Cholesterinspiegel mit Ernährung nichts richten lässt.

Welche Rolle spielt der Cholesterinspiegel ? Man hört nicht mehr viel zu diesem Thema.

Der Cholesterinpiegel ist für uns ein wesentlicher Marker, an dem wir unsere Therapie festmachen.

Gibt es Alternativen für eine Reha, wenn man nach der Behandlung wochenlang auf einen stationären Platz warten muss?

Es gibt aufgrund der coronabedingten Schließung der Reha-Einrichtungen jetzt enorme Wartelisten. Vorarlberger haben drei Möglichkeiten: Schruns, Isny im Allgäu oder eine ambulante Reha in Feldkirch.

Was ist der ideale Blutdruck im Alter um die 60?

Das Alter ist nicht mehr der entscheidende Faktor, sondern das Risikoprofil. Nach einem Herzinfarkt sollte er unter 120/80 sein, ansonsten empfehlen wir einen Wert von unter 140/90.

Macht eine Blutdruckmessung zu Hause wirklich Sinn?

Bei gefährdeten Personen macht es Sinn, aber die Messung muss richtig erfolgen. Man sollte das Gerät in der Apotheke überprüfen und sich die Bedienung genau erklären lassen. Die Messung sollte in Ruhe erfolgen, idealerweise gleich nach dem Aufstehen. Dann erhält man gute Blutdruckwerte. Auf keinen Fall sollte man sich von Werten verrückt machen lassen und drei- oder viermal nachmessen. Das bringt nichts.

Was ist von Omega-3-Tabletten zu halten?

Omega-3-Fettsäure sind seit Jahrzehnten im Gespräch, sie haben in Studien allerdings keinen dramatischen Benefit gezeigt. Ich rate Herzinfarktpatienten, viel Fisch zu essen. Ist das nicht möglich, sind Omega-3-Fettsäuren eine Option. Dabei handelt es sich jedoch um Spezialfälle, eine generelle Empfehlung gibt es nicht.

Kann ein Vorhofflimmern bei älteren Menschen noch mit einer Verödung behandelt werden?

Wir können in Feldkirch seit einem Jahr Verödungen durchführen, über eine solche Behandlung muss aber immer individuell entschieden werden. Es gibt viele ältere Patienten, die man gut im Vorhofflimmern belassen kann.

Was kann jeder selbst für seine Herzgesundheit tun?

Ganz einfach gesagt: möglichst gesund ernähren und sich bewegen. Die Bewegung in den Alltag einbauen, also öfter zu Fuß gehen, Treppe statt Lift nehmen, ist die beste Prophylaxe. VN-MM

Die Sprechstunde kann unter vn.at und vol.at zur Gänze nachgesehen werden.