Hans Concin

Kommentar

Hans Concin

Die Perfektion des Unvollkommenen

Gesund / 30.10.2020 • 12:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Wollen wir auf Jahre hinaus soziale Distanz pflegen, uns nicht umarmen, drücken und herzen, oder wollen wir die Gesellschaft wieder öffnen? Nach heutigem Wissensstand werden wir in den nächsten zwei Jahren keine Corona-Herdenimmunität erreichen. Eine SARS-CoV2-Herdenimmunität liegt vor, wenn der Anteil der immunen Bevölkerung, sei es durch eine überstandene Infektion (auch ohne Symptome) oder eine Impfung so hoch ist, dass eine Ausbreitung des Virus kaum mehr möglich ist. Dieser Zielwert dürfte bei einem Bevölkerungsanteil von 50 bis 70 Prozent Immunen liegen und ist derzeit fern unserer Erwartungen. Die weit überwiegende Zahl der international führenden Experten ist der Ansicht, dass wir selbst nach Einführung von Impfungen keine Herdenimmunität erreichen können. Um wieder ein aktives Sozial- und Arbeitsleben führen zu können, brauchen wir zusätzlich neue Lösungen. PCR-Tests und Kontaktnachverfolgung sind wertvoll, aber teuer, logistisch langsam und an ihre Grenzen gestoßen. Eine bald schon umsetzbare Möglichkeit ist ein für alle selbst machbarer Antigen-Schnelltest, ähnlich wie ein Schwangerschaftstest. Solche Selbsttests werden wahrscheinlich bald als Massenprodukt sehr kostengünstig zur Verfügung stehen. Sie sind theoretisch nicht perfekt, aber für die Praxis geeigneter und aussagekräftiger, wenn es um die Ansteckungsfähigkeit geht. Nach dem Aufstehen wird als erste Maßnahme z.B. eine Gurgelprobe untersucht, deren Ergebnis schon nach 15 Minuten vorliegt. Ist das Testergebnis positiv, das heißt, SARS-CoV2-Viren sind nachgewiesen, begibt man sich mit den engsten Kontaktpersonen sofort in Quarantäne. Ist der Test negativ, kann man von einer fehlenden Infektion oder einer sehr geringen, nicht infektiösen Viruslast ausgehen. Das ist nicht die Perfektion der unvollkommenen Coronastrategien, aber sie erlaubt uns, wieder effizient zu einer lebenswerten und ökonomisch überlebbaren Realität zurückzukehren. Ich halte dieses Vorgehen für praxisorientiert und realistisch.

Der Preis für einen selbst durchzuführenden Corona-Antigen-Schnelltest wird in Zukunft unter fünf Euro liegen, das entspricht Kosten von unter 150 Euro pro Monat. Im Vergleich zu den bisher anfallenden Kosten und hohen Kollateralschäden der Pandemie ist das eine kleine Investition mit einer massiven Effizienzsteigerung. Grundsätzlich können Schnelltests auch vor Veranstaltungen durchgeführt werden. Für Großveranstaltungen sind Schnelltests eine logistische, aber bewältigbare Herausforderung. Kinder unter 12 Jahren sollten nur in Ausnahmefällen getestet werden. Perfektion ist ein unnötiger Standard für nicht symptomatische Personen und eine verunsicherte Population. Derzeit (Stand 26. 10. 2020) sind in Vorarlberg 99,7 Prozent der Bevölkerung asymptomatisch. Eine Pandemie fordert immer ihre Opfer, nicht alles ist vermeidbar. In der Medizin müssen Vor- und Nachteile von Maßnahmen für die Bevölkerung abgewogen werden.

Auch individuelle Vorstellungen und Erwartungen von Interessengruppen dürfen nicht ganz ignoriert werden. Bis wir diese breit und selbst einsetzbaren Corona-Antigen-Schnelltests uneingeschränkt für alle zur Verfügung haben, sollten wir alle verordneten Regeln einhalten.

„Um wieder ein aktives Sozial- und Arbeitsleben führen zu können, brauchen wir neue Lösungen. PCR-Tests und Kontaktnachverfolgung sind an ihre Grenzen gestoßen.“

Hans Concin

hans.concin@vn.at

Prim. a. D. Dr. Hans Concin, Vizepräsident aks Verein

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