Med Konkret: Corona aushalten und aufarbeiten

Gesund / 25.03.2021 • 16:00 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Med Konkret: Corona aushalten und aufarbeiten
Pflegedirektor Arno Geiger (l.) und Primar Peter Cerkl ließen das herausfordernde Coronajahr 2020 Revue passieren. VN

Mitarbeiter des LKH Hohenems berichteten eindrücklich von ihren Erfahrungen.

Hohenems Es waren nur ein paar Sätze, kurz eingeflochten in die Beantwortung einer Frage, doch sie standen sinnbildlich für die Belastung von Spitalspersonal während der Hochphasen der Coronapandemie. Arno Geiger, Pflegedirektor im Landeskrankenhaus Hohenems, erzählte von einem Mitarbeiter, der seinen Dienst quittierte, nachdem er die Todesanzeige eines Covid-19-Patienten gesehen hatte, den er davor sechs Wochen gepflegt hatte. Auch das macht Covid mit Menschen. „Das muss man erst einmal aushalten“, merkte Arno Geiger an.

Große Unsicherheiten

Das LKH Hohenems war neben dem LKH Bludenz im Frühjahr 2020 zum Covid-Schwerpunktspital umfunktioniert worden. Der erste Patient kam am 5. März. Es sollten noch viele folgen. „Es gab in der ersten Welle wenig Wissen über die Erkrankung, ihre Behandlung und wie sich alles entwickeln würde, aber wir mussten die Herausforderung trotz großer Unsicherheiten annehmen“, berichtete Arno Geiger von anfänglichen Engpässen bei der Schutzausrüstung und bei Testkapazitäten, sodass Verdachtsfälle oft lange die Intensivbetten belegten. Dem Personal fehlte die Erfahrung im Umgang mit Covid-19, „es war total überfordernd“, räumte Geiger freimütig ein. Doch mit viel Engagement konnten die Hürden gemeistert werden.

Als im Herbst die zweite Welle über das Land hereinbrach, waren die Krankenhäuser besser vorbereitet. Geiger: „Wichtig war, dass sich jetzt alle Spitäler um die Behandlung von Covidpatienten kümmerten, sodass zumindest ein eingeschränkter Normalbetrieb gefahren und das Personal so entlastet werden konnte.“ Auf den Intensivstationen stieg die Belastung allerdings, weil es mehr schwere Krankheitsverläufe gab. Zudem fielen Mitarbeitende selbst wegen Corona aus. „Jetzt sind alle müde“, sagte der Pflegedirektor und betonte die Notwendigkeit der Aufarbeitung des Geschehens sowie der intensiven Betreuung des Personals, um Abgänge zu vermeiden. Die kämen gar nicht gelegen, denn allein für die Intensivstationen gibt es laut Geiger einen Personalmehrbedarf von 30 bis 40 Prozent.

Viele Fragen offen

Den medizinischen Rückblick gestaltete Primar Peter Cerkl, Leiter der Pulmologie im LKH Hohenems. Auch er berichtete von vielen Unsicherheiten zu Beginn der Pandemie, von einer WhatsApp-Gruppe, in der er sich mit Experten aus Italien, Deutschland und den USA über Behandlungsmöglichkeiten von Covidpatienten austauschte. Medikamente? Künstliche Beatmung invasiv oder nichtinvasiv? Es galt, auf viele Fragen die passenden Antworten zu finden. Inzwischen zeigt sich alles klarer. „Die nichtinvasive hoch dosierte Sauerstofftherapie wird, solange es geht, einer maschinellen Beatmung vorgezogen“, erläuterte Cerkl. Wie sich die Lage insgesamt weiterentwickelt, lasse sich indes schwer sagen. Für den Lungenfacharzt steht jedoch fest, dass es im Kampf gegen die Pandemie mit Impfen nicht getan ist. „Wir brauchen eine Kombination aus Medikamenten und Impfen.“

Fragen der Zuseherinnen und Zuseher

Machen Ihnen die Vorkommnisse im Leiblachtal, besonders was die Ausbreitung der britischen Mutation betrifft, Sorgen?

Cerkl Es war uns klar, dass mit den Öffnungen auch die Zahlen wieder steigen, wir hoffen aber, dass das Ganze mit dem gewaltigen Testaufkommen und dem Funktionieren der Kontaktnachverfolgung im Griff bleibt. Es ist diesmal eine etwas andere Situation mit dieser britischen Mutante, weil sie ansteckender und daher schwer zu kalkulieren ist. Das macht mir schon Sorge.

Vom Impfstoff hört man sehr viel. Wie sieht es mit Medikamenten gegen Covid-19 aus?

Cerkl Wir werden Medikamente brauchen, weil es mit Impfen allein nicht getan sein wird. Ideal wären solche, die man schlucken kann, wie das Tamiflu bei der Grippe. Da gibt es durchaus Hoffnungsträger, aber wir reden da von einem Zeitraum von Ende 2021 bzw. Anfang 2022.

Wie sehen die Langzeitfolgen bei Covid-19 aus?

Cerkl Wir haben alle bei uns behandelten Patienten nachkontrolliert. Obwohl zum Teil wilde Lungenveränderungen im Röntgen zu sehen waren, bilden sich die meisten erfreulicherweise wieder zurück. Das ist jedoch ein langer Prozess, der zum Teil über viele Monate geht. Vereinzelt kommt es zu schweren Verläufen, die auch zu Lungenfibrosen führen. Erst unlängst hatten wir einen Patienten, der Covid-19 schon im November hatte und dann eine solche Entzündung bekam. Wir mussten ihn transferieren, sonst hätten wir ihn verloren. Viele haben außerdem Long-Covid-Syndrome, sind müde, abgeschlagen, haben Schlafstörungen, psychische Angststörungen und immer noch Atemnot bei Belastung.  

Wo gibt es in Österreich die Möglichkeit einer Lungen-Reha?

Cerkl Die nächste Stelle für Vorarlberg wäre das Rehabilitationszentrum Münster in Tirol. Die haben sehr viel Erfahrung mit Covidpatienten.

Wie sehen Ihre Erfahrungen mit der Anwendung von Genesenenplasma aus?

Cerkl Es ist ähnlich wie beim Remdesevir und dem neuen synthetischen Antikörper-Cocktail von Regeneron, die eingesetzt werden sollten, wenn der Patient noch nicht im Spital ist, denn das Problem von Spitalspatienten ist nicht mehr die Viruslast, sondern die überschießende Immunreaktion. Deshalb kommt das Genesenenplasma für uns meistens zu spät. Bekommen wir die Patienten früher, wird es eingesetzt und hat auch seinen Sinn.

Wie lange dauert es, bis der Geruchs- und Geschmackssinn wieder zurückkommt?

Cerkl Bis jetzt ist mir niemand bekannt, der den Geschmacks- und Geruchssinn dauerhaft verloren hat. Ich habe aber Patienten, die nach neun Monaten immer noch nicht richtig schmecken und riechen können. Bei den meisten ist es jedoch nach zwei bis drei Wochen wieder besser.

Was halten Sie von Tauchen zur Lungenstärkung?

Cerkl Eine gesunde Lunge ist natürlich immer günstig, weil die schweren Verläufe bei Lungenkranken häufiger auftreten. Ob das Tauchen einen physiologischen Vorteil verschaffen kann, weiß ich nicht. Vermutlich wäre es genauso sinnvoll, aber weniger aufwendig, ein Blasinstrument zu erlernen.

Gab es schon Kündigungen beim Personal?

Geiger Kündigungswellen und Berufsausstiege sind zum Glück noch nicht spürbar, es gibt aber einzelne Mitarbeiter, die sich überlegen, einen anderen Job zu suchen. Hier ist ganz wichtig, dass wir ihnen Perspektiven bieten. Wir hatten reine Covidstationen. Das werden wir beim nächsten Mal nicht mehr machen, damit das Personal nicht mit dieser Dauerbelastung durch Covid beschäftigt ist. Ein bisschen Normalität ohne Verkleidung und nur mit Maske und Brille. Es hilft uns momentan, dass der Beruf sicher ist, wenn die Wirtschaft wieder anzieht und die Normalität kommt, verlieren wir diese Sicherheit. Wir sind schon daran, so viele wie möglich auszubilden.

Hat das Personal das Angebot psychologischer Betreuung angenommen?

Geiger Es gibt Mitarbeiter, die arbeiten bis zur Erschöpfung und lassen sich nicht helfen. Dann gibt es solche, die diese Hilfe gerne in Anspruch nehmen. Was wir jetzt spüren, ist, dass die hochbelasteten Covid-Abteilungen alle Supervision machen. Die wollen darüber reden.

Wie begegnen Sie Coronaleugnern?

Cerkl Wenn man die Situation auf den Intensivstationen kennt und dann Leute sieht, die ohne Maske und Abstand Karneval feiern, führt das schon zu Ärger und Verzweiflung.

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