Das Rätsel um den verdrehten Geburtskanal

Gesund / 05.11.2021 • 11:55 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Forscher gingen der Frage nach, warum sich Babys bei der Geburt drehen müssen. Adobe
Forscher gingen der Frage nach, warum sich Babys bei der Geburt drehen müssen. Adobe

Laut Studie hat die Besonderheit auch mit dem Beckenboden zu tun.

Wien Leicht haben es Mutter und Kind bei der Geburt schon bei vielen Tieren nicht, besonders komplex ist der Vorgang aber beim Menschen. Mit der Frage, warum sich bei unserer Spezies ein verdrehter Geburtskanal durchgesetzt hat, beschäftigen sich Wiener Biologen. Nun warten sie mit einer neuen Erklärung auf: Die anatomische Besonderheit, die Babys eine Drehung abverlangt, schont demnach vorrangig den Beckenboden und fördert die aufrechte Haltung.

Vergleicht man Größe und Gewicht von Neugeborenen bei Menschen und anderen Primaten, zeigen sich deutliche Unterschiede. Vor allem der Kopf des menschlichen Fötus ist im Verhältnis zur Größe des Geburtskanals groß. Warum die natürliche Selektion den dadurch drohenden Problemen bei der Niederkunft nicht durch eine Verbreiterung des Beckens und des Geburtskanals entgegengewirkt hat, ist eine große Frage. Lange Zeit wurde vermutet, dass ein schmales Becken vorteilhaft für die Fortbewegung auf zwei Beinen ist und die Evolution in Richtung eines größeren Beckens verhindert.

Beckenbodenmuskulatur

Das Team um Ekaterina Stansfield von der Universität Wien, vom Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Klosterneuburg (NÖ) und von der Universität Porto (Portugal) verfolgt die Idee, dass die stützende Funktion der Beckenbodenmuskulatur einen Einfluss auf die Entwicklung des Geburtskanals hat. Der aus mehreren Schichten Muskeln, Bändern und Bindegewebe bestehende menschliche Beckenboden spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der inneren Organe und beim Halten eines schweren Fötus während der Schwangerschaft. Außerdem ist er wichtig für das Zurückhalten von Harn und Stuhl.

Im Gegensatz zu Primaten ist der Geburtskanal beim Menschen nochmals schwieriger zu passieren. Der obere Teil ist nämlich bei den meisten Frauen rund oder oval, wobei der Durchmesser von links nach rechts breiter ist als von vorne nach hinten (queroval). Das ändert sich jedoch am Weg zum Ausgang, wo sich der Kanal umgekehrt längsoval präsentiert. Um diese Bereiche mit dem großen Kopf zu passieren, muss sich das Baby dementsprechend drehen.

Im Fachjournal „BMC Biology“ zeigt das Team nun, dass die längsovale Form des unteren Geburtskanals der Stabilität des Beckenbodens zuträglich ist. Evolutionär gesehen scheint dies die Nachteile der komplexen Geburt zumindest teilweise aufzuwiegen, denn runde oder querovale Kanalenden erhöhten in den Simulationen die Belastungen. „Dieses Ergebnis hat uns anschließend zur Frage veranlasst, warum nicht auch der Beckeneingang beim Menschen längsoval ist“, erläutert die Studien-Koautorin Barbara Fischer. Das liegt laut den Forschern eher daran, dass durch unsere aufrechte Haltung wenig Platz für eine solche Ausrichtung weiter oben im Becken ist.

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