Auch Trauern braucht Mut

Gesund / 13.05.2022 • 09:47 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Eltern, die um ein Kind trauern, dürfen bei aller Tragik nicht auf ihre anderen Kinder vergessen.voki
Eltern, die um ein Kind trauern, dürfen bei aller Tragik nicht auf ihre anderen Kinder vergessen.voki

Leben mit dem Tod eines Kindes. Geschwister brauche guten Begleitung.

Bregenz Beim Tod eines Kindes seien Geschwister oft doppelte Leidtragende, stellte Trauerbegleiter Norbert Nitsche zum Auftakt seines Vortrags in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs fest. „Sie verlieren nicht nur ihren Bruder oder ihre Schwester, sondern auch ihre Eltern, die in der eigenen Trauer gefangen sind. Geschwister sind in dieser Zeit häufig vergessen“, so der Autor. Dies könne das Grundvertrauen ins Leben erschüttern und die Biografie nachhaltig prägen. Als vierfacher Vater, dessen kleine Tochter vor 34 Jahren an plötzlichem Kindstod starb, weiß Norbert Nitsche auch aus eigener Erfahrung, dass „Trauerarbeit Schwerstarbeit ist“.

Verlust als Realität akzeptieren

Gleich zu Beginn räumte er mit einem Irrtum auf: „Es ist Quatsch, dass die Zeit alle Wunden heilt.“ Manche Wunden würden nie verheilen, man müsse lernen, mit ihnen zu leben. Verabschieden könne man sich überdies getrost von der Annahme, dass Trauern in Phasen verläuft. „Trauern ist ein höchst individueller Prozess. Man spricht heute von Traueraufgaben, die es zu bewältigen gilt.“ Zu diesen zählt, den Verlust als Realität zu begreifen und den Trauerschmerz zu akzeptieren. Wieder am Alltag teilzuhaben, statt sich abzukapseln, sei eine weitere Aufgabe, der man sich stellen müsse. Ebenso wie den Toten einen neuen Platz zuzuweisen. „Das verstorbene Kind steht oft zu arg im Vordergrund“, betonte Nitsche. Den Verlust zu akzeptieren und darüber zu reden, erfordere viel Mut. „Es braucht mehr Betroffene, die darüber reden und dadurch ermutigen.“

Wenn ein Kind aufgrund einer Krankheit verstirbt, könnten Eltern besser mit dessen Tod umgehen. „Schwieriger ist dies nach einem Unfall oder plötzlichem Kindstod.“ Verheerend könnten sich Bewertungen von Außenstehenden auswirken, wie „Warum hast du nicht besser aufgepasst“. Hilfreich hingegen seien Selbsthilfegruppen, Gespräche mit anderen Betroffenen und Therapien. Vor allem aber helfe es, sich mit seinen anderen Kindern auseinanderzusetzen. „Die Kinder brauchen in dieser schweren Zeit Eltern, die für sie da sind.“

Vertrauen festigen

„Werden Kinder mit ihrer Trauer alleingelassen, führe das zu Vereinsamung und Verunsicherung. Alarmsignale seien schulische Leistungseinbrüche, Schlafprobleme, Einnässen, Wutanfälle, Kopf- und Bauchschmerzen. Nitsche plädierte dafür, möglichst viele Dinge selbst in die Hand zu nehmen. „Die Trauerfeier organisieren zum Beispiel und die Kinder miteinbeziehen, denn sie sind für Trauer nicht zu klein.“ Die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine sieht Nitsche als „Chance, das Thema in der Schule aufzugreifen, neue Zugänge zu finden und uns damit wachsen zu lassen“, denn: „Wir müssen alle mit Abschieden leben lernen. Trotz allem Schweren dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass für Kinder Mut, Freude und Lachen im Vordergrund stehen sollten, um ihr Vertrauen in die Welt zu festigen.“

Vortrag „Schritte in die Welt – Wie traumatisierte Kinder und Jugendliche (wieder) gehen lernen“ am 15. Juni, Info: a.pfanner@voki.at, Tel. 05574/4992-5563