Diese Rolle spielt die Marktwirtschaft im Arztberuf

Gesund / 13.06.2022 • 05:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Diese Rolle spielt die Marktwirtschaft im Arztberuf

Mediziner Valentin im Interview: Der Job hat sich gewandelt.

Salzburg Tempo, Tempo, Tempo. Im Krankenhausalltag geht es oft stressig zu, auf die Kosten muss geachtet werden und der Dokumentationsaufwand steigt stetig. Auch in der Medizin wird gerechnet. Wie sich diese Dynamik auswirkt, beschreibt Intensivmediziner Andreas Valentin. Wie gut verträgt sich marktwirtschaftliches Denken mit dem Arztberuf?

Zur Person

Andreas Valentin ist Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin, Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt und Leiter der 1. Medizinischen Abteilung in der Klinik Donaustadt. Er war zuvor als ärztlicher Leiter des Klinikums Schwarzach tätig.

Wie hat sich das Berufsbild des Arztes verändert?

Die Medizin hat sich verändert. Der Therapieansatz heute ist ein ganz anderer als vor 40 Jahren, die Patienten sollen möglichst schnell wieder aktiv werden. Es sind mehr Patienten und gleichzeitig sollen sie in einer gewissen Zeit behandelt werden. Dieser Wandel schlägt sich auch auf die innere Einstellung der Ärzte: Die Dynamik, der Druck, die Schnelligkeit haben zugenommen. Die Arbeitszeit hat sich deutlich reduziert, andererseits hat sie sich verdichtet. Die Kontinuität ist schwieriger geworden. Arzt sein hat ja auch etwas mit Dasein zu tun.

Gibt es im Klinikalltag überhaupt Zeit, diese Dynamik zu hinterfragen?

Die Reflexion über das eigene Tun ist ganz entscheidend. Die großen Schlagworte lauten Ökonomisierung und Industrialisierung der Medizin. Industrialisierung meint einen standardisierten Ablauf, der durchaus Qualität für die Patienten gebracht hat, aber auch Schattenseiten hat. Medizinische Probleme werden vereinheitlicht. Der andere Aspekt betrifft die marktwirtschaftliche Ausrichtung. In Deutschland wurde die Hälfte der Kliniken privatisiert, das sollte uns zu denken geben. Der marktwirtschaftliche Gedanke steht dem Wesen der Medizin diametral entgegen, es muss um den Nutzen für den Patienten gehen, nicht den Ertrag. Es sind letztlich Ideologien und Umsetzungen, die Fakten schaffen. Diese Ökonomisierung hat für manche Manager im Gesundheitswesen eine gewisse Attraktivität und kann durchaus nach Österreich überschwappen.

Welche Rolle spielen die Kommunikation und die Beziehung zwischen Arzt und Patient? Wird der neue Wissensstand berücksichtigt?

Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist Gott sei Dank wieder mehr Thema als noch vor zwei Jahrzehnten. Technisch ist heute vieles machbar und das ist wunderbar. Aber ob das im Einzelfall dem Patienten Nutzen bringt, muss individuell beantwortet werden. Diese Entscheidung lässt sich nicht marktwirtschaftlich abzählen und gehört zur ärztlichen Reflexion.

Ihre Kündigung als ärztlicher Leiter am Krankenhaus Schwarzach 2021 hat für Aufsehen gesorgt. Laut Aufsichtsratsvorsitzendem wollten Sie sich nicht ausreichend in die strategische Entwicklung einbringen. Hat es denn Sinn, dass medizinisches Personal sich um die Geschäftsentwicklung kümmert?

Ich würde die Aussage aus dem Aufsichtsrat so nicht stehen lassen. Und ja, ich finde, es gehört zu den Aufgaben einer ärztlichen Führungsfunktion, sich in die Strategie von Institutionen einzubringen, die mit Menschen zu tun haben.

Sie haben selbst einen MBA (Anm.: Master of Business Administration) abgeschlossen. Welche Rolle spielt unternehmerisches Denken in der Medizin?

Es wird niemand bestreiten, dass es eine wirtschaftliche Basis für medizinische Entscheidungen braucht, weil die Mittel nicht unbegrenzt sind. Aber es ist etwas anderes, ob Ressourcen eingesetzt werden unter der Prämisse, dass es dem Patienten gut geht, oder um Gewinne zu generieren. Letzteres hat in meiner Ansicht von Medizin keinen Platz und sollte das öffentliche Gesundheitswesen vom privaten unterscheiden. Es gibt vieles in der Medizin und in der Pflege, was nicht messbar ist: Zuwendung, Kommunikation, Zuversicht vermitteln. Das lässt sich nicht so messen, dass man es in einem Refinanzierungsplan abbilden kann. Das sind schon Entwicklungen, bei denen es an den Kern der Medizin geht.

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Können Sie nachvollziehen, dass der Arztberuf heute weniger attraktiv ist?

Ich persönlich empfinde Arztsein nach wie vor als einen wunderbaren Beruf. Und es ist schön zu sehen, wie viele junge Kolleginnen und Kollegen mit Freude dabei sind. In der Inneren Medizin gibt es ausreichend gute Bewerberinnen und Bewerber, aber manche Fachdisziplinen haben wirklich Schwierigkeiten.

Wie beurteilen Sie die Debatte um Wahl- und Kassenärzte: Bekommen wir tatsächlich ein Problem?

Wir bekommen ein Problem. Das ist nach Regionen unterschiedlich, im ländlichen Raum ist die Situation noch schwieriger als in den Städten, das sehen wir auch in Salzburg. Es geht um die Frage, wer noch bereit ist, eine Praxis zu führen, egal ob Allgemeinmedizin oder Facharzt. Die Lösung dafür kann nicht in der Wahlarztthematik allein liegen. Insgesamt glaube ich, dass jüngere Ärztinnen und Ärzte nicht mehr so gerne allein arbeiten. Sie sind durch die Ausbildung an Teamarbeit gewöhnt und wollen das fortführen. Die Modelle gibt es inzwischen und das sollte man berücksichtigen.

Es ist also auch ein kultureller Umbruch, was die Arbeitsweise betrifft, wie er derzeit in vielen Branchen stattfindet?

Ja. Was sich auch verändert hat über die Jahrzehnte, ist der gestiegene Bürokratieaufwand. Was nicht dokumentiert ist, ist nicht geschehen. Das macht es zeitweise schon sehr schwierig, es endet halt in einer großen bürokratischen Tätigkeit. Und das geht einher mit einer Verrechtlichung der Medizin.

In einer gemeinsamen Recherche haben die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten die Auswirkungen von Ärztemangel und Zweiklassenmedizin beleuchtet. Die Ergebnisse finden Sie laufend unter www.vn.at, Dieser Text stammt von Julia Herrnböck, Salzburger Nachrichten.