Mehr als nur ein Randgebiet

Gesund / 17.06.2022 • 10:56 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Facharzt Stefan Bangratz (l.) und Pfleger Ferdinand Fuchs gaben umfassend Einblick in die Arbeit an ihrer Abteilung.khbg
Facharzt Stefan Bangratz (l.) und Pfleger Ferdinand Fuchs gaben umfassend Einblick in die Arbeit an ihrer Abteilung.khbg

Kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen sind häufiger als angenommen.

Rankweil In der öffentlichen Wahrnehmung spielt die Kinder- und Jugendpsychiatrie kaum eine Rolle. Auch innerhalb der Medizin gilt sie noch als Randgebiet. Oberarzt Stefan Bangratz machte in seinem Vortrag jedoch die Relevanz dieses Themas deutlich, die sich in der Häufigkeit von kinder-und jugendpsychiatrischen Erkrankungen manifestiert. Laut einer in Österreich durchgeführten Studie erfüllen rund 24 Prozent der Jugendlichen zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kriterien einer psychischen Erkrankung. „Das ist fast ein Viertel“, unterstrich Bangratz. Im Rahmen der Pandemie hat sich die Inzidenz noch einmal erhöht.

Angststörungen häufig

Am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen sind Angststörungen, Störungen der psychischen Entwicklung sowie depressive Störungen. „Weniger oft kommen Verhaltensstörungen, Essstörungen, traumabezogene Störungen, Zwangsstörungen oder selbstverletzende Verhaltensstörungen vor“, listete Stefan Bangratz auf. In der Studie hat sich allerdings auch gezeigt, dass weniger als die Hälfte der Betroffenen professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Die Ursachen sind laut dem Facharzt vielschichtig. Zum einen werde die Psychiatrie generell als Tabuthema gehandelt, zum anderen sei die geringe Inanspruchnahme wohl auch das Resultat der noch immer nicht zufriedenstellend ausgebauten Versorgung in Österreich.

Der stationäre Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie am LKH Rankweil umfasst aktuell 36 Behandlungsplätze. Es gibt eine Akutstation, zwei Therapiestationen und Tagesambulanzen in Bregenz und Rankweil. Bei einer Zuweisung gehe es immer darum, individuell abzuklären, welche Behandlung erforderlich ist und was dem Kind bzw. dem Jugendlichen am besten hilft. „Nach Möglichkeit organisieren wir eine ambulante Therapie, um die Betroffenen nicht aus ihrem gewohnten Umfeld zu reißen“, führte Stefan Bangratz aus. Es gibt jedoch Indikationen, wo eine stationäre Behandlung unabdingbar ist. Dazu zählen Zustandsbilder wie akute Selbst- oder Fremdgefährdung bzw. Situationen, in denen Kinder und Jugendliche aufgrund der Erkrankung keine guten Entscheidungen mehr treffen können. Als Beispiele nannte Bangratz massive Intoxikationen, also eine Vergiftung durch psychotrope Substanzen, Suizidalität und aggressives Verhalten.

Multidisziplinäres Angebot

Hat auch eine längere ambulante Behandlung keinen Erfolg gebracht oder steht ein solches Angebot in nicht ausreichend zur Verfügung, erfolgt ebenfalls eine stationäre Aufnahme, denn: „Jede psychische Erkrankung kann Ausprägungen mit sich bringen, wo ambulante Maßnahmen nichts mehr nützen, etwa bei schweren Angsterkrankungen, Zwangserkrankungen und psychotischen Erkrankungen.“ Im stationären Bereich ist es möglich, ein umfassendes und multidisziplinäres Therapieangebot zu stellen. Dies umfasst die gesamte medizinische Betreuung, zudem stehen Psychologen, Psychotherapeuten und Ergotherapeuten zur Verfügung. Weiters bietet ein Team von Pädagogen tiergestützte Beziehungsarbeit und therapeutisches Klettern an. Ebenfalls möglich ist eine Musiktherapie. Bei Bedarf können weitere Disziplinen, wie diätologische Beratungen und Physiotherapie in Anspruch genommen werden. Als sehr wichtig in diesem Gefüge bezeichnete Stefan Bangratz die Heilstättenschule. „Sie ist ein wichtiges Teilstück in einer länger dauernden stationären Therapie, um Schulunterbrüche zu vermeiden.“

Sehr intensiv ist auch die Pflege in der Begleitung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher involviert, weil sie rund um die Uhr für die jungen Patienten da sind. „Unser Aufgabenbereich ist die Beziehungsarbeit. Wir begleiten die Jugendlichen, betreuen sie, beobachten und wirken mit in der Diagnoseerstellung“, führte Ferdinand Fuchs aus. Die Mitarbeitenden der Pflege legen zudem Augenmerk auf die Aktivitäten des täglichen Lebens, um dort regulierend einzugreifen. Plagen die jungen Patienten beispielsweise Einschlafprobleme, werden auch Geschichten vorgelesen. Die Abstimmung der Behandlungsziele erfolgt gemeinsam mit dem Jugendlichen und den Eltern und auf die Erkrankung abgestimmt. Die Pflege unterstützt, lässt aber auch Autonomie zu, wo sie angebracht ist.