Hans Concin

Kommentar

Hans Concin

Schulsystem als frühe Belastung (2. Teil)

Gesund / 24.03.2023 • 12:05 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Beim Thema Schulsystem und Gesundheit wollte ich mich auf die medizinischen Fragen beschränken. Öffentliche Reaktionen auf den 1. Teil sind aber überwiegend von Experten aus dem Schul- und Bildungsbereich gekommen, mit sehr divergierenden Meinungen.

Ich habe mich überzeugen lassen, dass unser Schulsystem sehr durchlässig ist und dass später mehr Mittelschüler Matura machen als Schüler, die schon in der 5. Schulstufe ins Gymnasium gekommen sind. Andererseits sagt mein Hausverstand, dass genau das der schlagendste Hinweis ist, dass die frühe Selektion der 10-Jährigen oft falsch war und ist!

Zurück zur Schule, Gesundheit, Medizin und gesamtheitlichen Public-Health-Sicht: Kinderarmut nimmt auch in Vorarlberg zu und ist die größte Gefahr für die Gesundheit. Zusätzlich verschärft wird die Gesundheitsgefährdung durch das häufige Zusammentreffen von bildungsfernen Familien mit verfestigten Armutsstrukturen.

Wo und wie kann man Kinderarmut am besten und kostengünstigsten abfedern? Armutsbekämpfung ist in der gesamten Breite politisch sehr schwierig und kostenintensiv. Zumindest für die zunehmende Zahl armer Kinder könnte mit wenig Aufwand das Problem in den Kindergärten und Schulen schon früh deutlich entschärft werden.

Unser Schulsystem pickt nach der Volksschule die „Rosinen“ heraus. Laut Statistik haben 50 Prozent der Kinder, die ins Gymnasium kommen, Eltern mit akademischem Hintergrund. Die sozialen Ungleichheiten bei der Schulwahlentscheidung sind zu zwei Dritteln durch leistungsunabhängige Faktoren erklärbar, analysiert der Journalist Jürgen Klatzer (@JurgenKlatzer) anhand eines umfangreichen Datenmaterials. In Vorarlberg kommen nach der Volksschule 30 Prozent ins Gymnasium (in Wien 55 Prozent) und 70 Prozent in eine Mittelschule ohne differenzierende Leistungsstufen! Das kann nicht richtig sein.

Im Gymnasium zerfransen sich Eltern in Bemühungen, damit die wenigen sozial schwächeren Kinder bei allen schulischen und außerschulischen Aktivitäten mitmachen können. Das heißt, nicht nur die Schüler werden zu früh und teilweise falsch (siehe oben) selektioniert, sondern auch die Eltern. Ein besonders trauriges Kapitel ist die schulärztliche Versorgung in Vorarlberg. Am besten funktioniert sie an den Bundesschulen, dringender würde sie an den übrigen Schulen benötigt.

Wir sollten Kinder nicht zurücklassen – Gesellschaft und Wirtschaft brauchen sie möglichst gut ausgebildet und mit sozialer Kompetenz. Die Schulen und Lehrer:innen sehen sich mit immer mehr Herausforderungen konfrontiert und brauchen dringend Unterstützung, unabhängig vom Schultyp. Corona, Migration, Flüchtlinge und Armut verlangen eine massive Unterstützung und Anerkennung der Schulen und Lehrer:innen. In Zukunft wird man diese fehlenden Investitionen bitter büßen und bezahlen müssen. Derzeit sieht es so aus, als ob in Vorarlberg zum zweiten Mal wichtige Chancen „versemmelt“ werden: die Gemeinsame Schule, die Private Medizin-Universität und die Schulärzteproblematik.

Hans Concin

hans.concin@vn.at

Prim. a. D. Dr. Hans Concin,

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