Reale Utopien als Orientierungsmöglichkeit

HE_Blude / 07.04.2021 • 15:20 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Ingo Türtscher ist der neue Geschäftsführer der Regio Großes Walsertal.bi
Ingo Türtscher ist der neue Geschäftsführer der Regio Großes Walsertal.bi

Ingo Türtscher ist seit Kurzem neuer Geschäftsführer der Regio Großes Walsertal.

Sonntag Ingo Türtscher hat mit 1. März die Geschäftsführung der Regio Großes Walsertal übernommen. Den gebürtigen Blonser prägt eine tiefe Verbundenheit mit dem Großen Walsertal. Die VN traf sich mit ihm zu einem Gespräch über die Herausforderungen und Zielsetzungen in seiner neuen Funktion.

Welchen Hauptaufgaben sehen Sie sich in Ihrem neuen Arbeitsgebiet gegenüber?

Türtscher Grundsätzlich koordiniert die Regio gemeinde- und regionsübergreifende Prozesse und Projekte. Die Handlungsfelder erstrecken sich über gesellschaftliche Themen wie Bildung, Wirtschaft, Wohnen, Mobilität, Kultur und Soziales. Ende 2019 wurde das Regionale Räumliche Entwicklungskonzept beschlossen. Dieses Strategiepapier gilt es, im Sinne der zukunftsfähigen Entwicklung des Lebensraums Biosphärenpark Großes Walsertal, mit Leben zu befüllen und konkret umzusetzen.

Worin besteht Ihre Zielsetzung als Regio-Manager?

Türtscher Für eine klare Ziel­ausrichtung braucht es eine klare Vision, eine verständliche Positionierung. Nicht in Form einer Marketingstrategie, sondern es geht im weiteren Sinne darum, authentisch Position zu beziehen. Durch die Biosphärenpark-Philosophie besteht bereits ein starkes, gelebtes Bekenntnis zu einer nachhaltigen Entwicklung mit intaktem Naturraum und einem guten Miteinander. Ziel und Aufgabe ist es, diese Werte und Identitäten ständig gemeinschaftlich zu verhandeln und in besagte Handlungsfelder spürbar zu überführen und umzusetzen. Konkret geht es darum, alle Menschen zu ermutigen und zu unterstützen, die das Tal aktiv in diesem Sinne mitgestalten wollen und andererseits selbst als Impulsgeber und Plattform zur Koordination zu agieren.

Sie betonen, dass das Große Walsertal auch als Modellregion gelten könne?

Türtscher Das Große Walsertal hat sich meines Erachtens bereits als Modellregion für eine nachhaltige Entwicklung etabliert. Dieses Bild gilt es nun aber mit realen Handlungen zu stärken und auszubauen. Eine Modellregion zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich ihrer Herkunft bewusst ist und mutig die richtigen Schritte in die Zukunft macht. Dabei geht es aber nicht nur darum, eine nachhaltigere Gegenwart zu gestalten, sondern Themen für die Zukunft teilweise auch komplett neu zu denken. Hierzu wird es wichtig sein, dass man im Sinne der Philosophie auch experimentiert und Dinge ausprobiert. Denn nur so bleibt eine Region innovativ und anpassungsfähig für Veränderungen.

Aktuell stellt neben der Corona-Pandemie auch der Klimawandel eine immense globale Herausforderung dar?

Türtscher Neben all den gesellschaftlich negativen Folgen sehe ich die Corona-Pandemie in gewisser Weise bestimmend als Beschleuniger für gewisse Themen. Der Klimawandel ist allseits bekannt und die wissenschaftliche Grundlage ist mehr als gegeben. Dennoch verändern wir unser Verhalten nicht annähernd in dem Umfang und der Geschwindigkeit, wie es eigentlich erforderlich wäre. Den Umkehreffekt würde ich daher indirekt dadurch sehen, dass coronabedingt viele Strukturen und Routinen aufgebrochen wurden, die nun positiv für neue Wege genutzt werden können.

Wie könnte so ein Positiveffekt aussehen?

Türtscher Wenn ich als Beispiel das Große Walsertal als starke Pendlerregion hernehme, profitierte durch verstärktes Home-Office natürlich auch das Klima. Interessanter ist aber vielleicht der Gedanke, dass sich nun die Möglichkeit auftut, neue Formen wie etwa der Arbeitsorganisation im ländlichen Raum zu gestalten. Es entsteht ein Co-Work-Space in einem Leerstand, dieser wiederum ermöglicht, dass ein Gasthaus nebenan mehr Mittagsmenüs anbieten kann und andere dörfliche Strukturen profitieren. Wir werten die Ortskerne auf, reduzieren Pendlerverkehr und werden als Region für junge Menschen attraktiver. Das alles macht Spaß und das Klima profitiert quasi als positiver Nebeneffekt.

Sie setzen sich stark mit der Transformation der Gesellschaft aus­einander. Wie sieht Ihre persönliche Utopie aus?

Türtscher Das Wort Utopie wird im alltäglichen Gebrauch leider etwas negativ gesehen, oft abgetan mit dem Satz: „Das wird eh nicht funktionieren.“ Ich bin fest davon überzeugt, dass wir aber genau diese Bilder von realen Utopien und positiven Zukunftsbildern brauchen, um uns nach vorne zu orientieren, zu ermutigen und ins Probieren von neuen Dingen zu kommen. Ich glaube, es ist schwierig und vielleicht auch problematisch, eine große Utopie zu zeichnen. Für mich steckt mehr Kraft in kleineren, also umsetzbaren Utopien, die dann hoffentlich in eine größere Utopie einer gerechten Gesellschaft wirken, die in einem gesunden Naturverhältnis steht – sich also als Teil dieser versteht. BI

Zur Person

Ingo Türtscher

Geboren 27. Februar 1988

Familie Lebenspartnerschaft mit Anja, zwei Söhne (3 Jahre und 1 Jahr)

Wohnort Feldkirch

Beruf Geschäftsführer der Regio Großes Walsertal

Hobbys Reisen, Musik aktiv und passiv (spielt in einer Band Schlagzeug und Gitarre), Sport (Tennis, Wandern, Fußball, Snowboard)