Ist Gott noch „Herr über Leben und Tod“?

HE_Feldk / 21.10.2020 • 14:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bühnengröße Ernst Wilhelm Lenik als Richard Gärtner, der einen Suizid mit Würde (Arzt) anstrebt. Aufschnaiter
Bühnengröße Ernst Wilhelm Lenik als Richard Gärtner, der einen Suizid mit Würde (Arzt) anstrebt. Aufschnaiter

Das „Applaus“-Abo servierte kürzlich ungewohnt problematische Kost als Diskussionsstoff.

Götzis Ferdinand von Schirach (geb. 1964), vor Jahren einer der prominentesten Strafverteidiger Deutschlands, ist heute ein Bestsellerautor auf dem Bücher- und Bühnensektor. Sein erstes Theaterstück „Terror“ hatte sensationelle, aufwühlende Wirkung beim Publikum. Schirachs zweites, mit schlichtem Titel „Gott“, wurde mit einer hervorragenden Besetzung auf der Kulturbühne aufgeführt (Produktion des Euro-Studio Landgraf). Und auch „Gott“ hat ein sehr sensibles und kontroversielles Problem zum Thema. Es geht wieder um aktuelle rechtsphilosophische Fragen, die von Experten (Schauspieler) verschiedener Sparten auf der Bühne in einer großen Runde diskutiert werden. Es geht um nichts Geringeres als um Leben und (Frei)tod – vor dem Hintergrund aktueller Änderungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts.

Zumindest jeder Christ kennt die Kernsätze seines Glaubens – „Gott ist der Herr über Leben und Tod“, „Er hat’s gegeben, er hat’s genommen“ und daraus resultierend: „Du sollst nicht töten!“, denn jedes Leben sei ein Geschenk, eine Leihgabe Gottes, er bestimmt deinen Tag der Geburt und hat deshalb das alleinige Recht, dein Leben zu beenden … Also ist auch der Suizid nicht erlaubt, auch nicht die erbetene Beihilfe eines Arztes oder irgendeiner Person des Vertrauens. Zu Beginn des Stücks klagt der betagte Witwer Richard Gärtner, dass er mit dem Leben fertig sei und einen Helfer zum Suizid in Würde (Medikament) suche. Die brandaktuelle deutsche Gesetzeslage besagt aber gerade jetzt: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck der persönlichen Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die eventuelle Hilfe dazu.“ Gärtner wird gewiss einen Helfer (tödliches Medikament) bei seinem Suizid finden, doch welcher Arzt verrät dann etwa seinen Hippokratischen Eid? Von der religiösen Ethik von Gott bis zur rein weltlichen Ethik der jeweiligen Gesetzeslagen spannten sich die kontroversen Thesen der acht Diskutanten TV-ähnlich. Und eine Abstimmung des Publikums brachte ein Ja zur Unantastbarkeit des fremden wie auch eigenen Lebens.

Brillante Schauspieler

Auf der Bühne, auf der ein Berg großer brauner Kartons thront, geschehen heftige Wortgefechte zur oben genannten Problematik Leben und Tod, menschliche Freiheit und Würde. Die Vorsitzende des Ethikrates und ein Mitglied, eine Ärztin, ein Rechtsanwalt, eine Rechtssachverständige sowie ein medizinischer und ein theologischer Sachverständiger hielten das Publikum mit brillanten Wortkaskaden im Bann. Vom Fernsehen bekannte Stars wie Karin Boyd und Wolfgang Seidenberg wirkten mit, zwei große alte Herren der deutschen Schauspielkunst boten aber unvergessliche Augenblicke; Ernst Wilhelm Lenik als berührender Witwer Gärtner, der sich nach der verstorbenen Gattin sehnt, um mit ihr nach dem gewünschten Suizid wieder vereint zu sein. Der weißhaarige Klaus Mikoleit als katholischer Theologe Thiel hielt ein flammendes Plädoyer für die Lehren seines Gottes. Die pulsierende Regie von Miraz Bezar machte Schirachs „Gott“ (der Titel ist für die vielschichtige Problematik wohl zu eng gefasst) zum brisanten „Krimi“ der divergierenden Weltsichten. SCH

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