„Wir bekommen Steinhaufen vor die Füße geworfen“

Rainer Schlattinger ist seit rund 20 Jahren Geschäftsführer des Alpenvereins Vorarlberg und kennt die Herausforderungen, denen sich der Verein stellen muss.BI
Rainer Schlattinger spricht über den Klimawandel, das Ehrenamt und die Hüttenwirte.
BLUDENZ Die Wandersaison hat begonnen. Das schöne Wetter und die warmen Temperaturen locken viele Menschen in die Berglandschaft Vorarlbergs. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie wurde die Freude am Wandern und der Bewegung im Freien vielfach wiederentdeckt.
Dies ist einerseits ein erfreulicher gesundheitlicher Aspekt für die Bevölkerung, andererseits bedeutet die Wegeerhaltung und die Hüttenbewirtschaftung eine nie enden wollende Aufgabe des Alpenvereins Vorarlberg.
Der Verein besteht seit über 150 Jahren, die von immer wiederkehrenden neuen Herausforderungen gekennzeichnet waren. Vielleicht waren die Anforderungen jedoch noch nie so groß wie heute. Rainer Schlattinger sieht sich als Geschäftsführer des Alpenvereins Vorarlberg mit seinem Team einem ständig wachsenden Aufgabenfeld gegenüber, das mit viel Engagement und Innovationskraft bewältigt werden muss. Die VN widmet sich in einer Serie den verschiedenen Aspekten, denen sich der Alpenverein stellen muss.
Der Alpenverein Vorarlberg betreut ein rund 400 Kilometer umfassendes Wegenetz in den Bergen. Ist durch die Folgen des Klimawandels mehr Aufwand erforderlich?
SCHLATTINGER Der Betreuungsaufwand hat sich in den vergangenen Jahren merklich erhöht, weil Starkniederschläge und Erosionen durch den fortschreitenden Klimawandel ständig zunehmen. Es kommt vermehrt zu Sturmschäden mit Windwurf. So müssen zum Beispiel Bäume, die über die Wanderwege fallen, abtransportiert werden. Aber auch die Vermurungen nehmen zu. Manchmal werden sogar ganze Wegstrecken von ein paar Hundert Metern weggerissen. Eine weitere Folge des Klimawandels ist der Schwund der Gletscher, dadurch muss das alpine Wegenetz zum Teil verlegt oder rückgebaut werden.
Die Betreuung der alpinen Infrastruktur erfolgt hauptsächlich durch ehrenamtliche Mitarbeiter der älteren Generation. Ist die Nachfolge für diese freiwillige Tätigkeit gesichert?
SCHLATTINGER Das ist für uns ein ganz zentrales Thema. Der Verein ist mittlerweile auf 30.000 Mitglieder gewachsen – was jedoch nicht gewachsen ist, ist die Zahl der ehrenamtlichen Helfer. Die Leistungen des Alpenvereins bauen jedoch auf das Ehrenamt, sonst könnten diese nicht erbracht werden.
Aber nicht nur unser Verein, sondern auch viele andere NGOs und karitative Vereine haben mit demselben Problem zu kämpfen. Zum Teil liegt dies auch am demografischen Wandel. Die Welt ist mittlerweile ein Dorf. Junge Leute sind nicht mehr so gewillt, sich in Vereine einbinden zu lassen wie früher. Es braucht von unserer Seite eine andere Herangehensweise, um vermehrt Leute für ein Engagement bei uns gewinnen zu können. Hierzu haben wir unterschiedlichste Möglichkeiten ausgearbeitet, die im Herbst umgesetzt werden.
Nach der Corona-Pandemie sind die Hütten des Alpenvereins wieder ohne Einschränkungen geöffnet. Viele haben eine romantische Vorstellung vom Betreiben einer Hütte. Hüttenwirte müssen jedoch wahre Allrounder sein.
SCHLATTINGER Als Hüttenwirt muss man sozusagen geboren sein, wie eben für so manch anderen Beruf auch. Oftmals werden Hüttenwirte beneidet, da sie dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ein Arbeitsalltag auf der Hütte ist jedoch ein Job mit vielfältigen Herausforderungen. Unsere Pächter sind freie Unternehmer und tragen, insbesondere bei einem verregneten Sommer, ein hohes Risiko. Durch die Ukraine-Krise wird der finanzielle Einsatz immer höher. Dieser kann jedoch nicht in vollem Umfang an die Besucher weitergegeben werden. Außerdem gilt es, Personal für die jeweilige Saison zu rekrutieren.
Das ist im Tal schon nicht einfach. In exponierten Höhenlagen ist dies noch um einiges schwieriger. Die Gäste sind auch keine homogene Gruppe, sondern haben unterschiedlichste Wünsche, denen ein Hüttenwirt möglichst gerecht werden möchte. Für einen Hüttenwirt ist ein Arbeitstag von 14 bis 16 Stunden normal. Hüttenwirt zu sein, ist eine schöne Aufgabe, der mit viel Wertschätzung begegnet wird – aber eben auch eine enorme Herausforderung.
Die Sarotlahütte übernimmt heuer ein junges, engagiertes Paar. Was dürfen die Besucher mit der Neuübernahme erwarten?
SCHLATTINGER Mit Isabel und Fabian haben wir glücklicherweise ein junges Pächterpaar gefunden, das bereit ist, uns zu begleiten. Isabel hat BWL studiert. Fabian ist gelernter Koch und hat auch schon in Hauben-Restaurants gearbeitet. Nachdem sie in den vergangenen drei Jahren ein kleines Ressort auf den Bahamas geführt haben, bringen sie viel Erfahrung mit.
Beiden ist Nachhaltigkeit ein Anliegen. So wird täglich frisches Brot und auch Zopf in einem Steinofen gebacken. Auch Pizzen werden damit zubereitet. Sie bieten eine breite Palette an regionaler und bodenständiger Küche und verwenden ausschließlich heimische Produkte. Isabel und Fabian sind voller Pläne und Ideen, wie sie den Hüttenbetrieb gestalten werden. Wir freuen uns jedenfalls darüber.
Sie sind seit rund zwei Jahrzehnten Geschäftsführer des Alpenvereins. Worin sehen Sie Zukunftschancen für den Alpenverein?
SCHLATTINGER Wir sehen uns nicht nur als alpiner Verein, der die nötige Infrastruktur in den Bergen schafft, sondern auch als Anwalt der Natur, was manchmal bedeutet, divergierende Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen. Unsere Hütten sind zwar Wirtschaftsbetriebe, aber auch Zuschussbetriebe, in die immer wieder neu investiert werden muss, da nicht zuletzt durch die exponierte Lage höhere Haltungskosten anfallen. Außerdem sehen wir uns immer mehr behördlichen Auflagen gegenüber, die von unserer Seite her ständig neue Anpassungsstrategien erfordern. Es gibt keine Patentrezepte, wie etwa beim Wegfall des dringend benötigten Ehrenamts. Es müssen von unserem Team stets neue Konzepte entwickelt werden.
Wir sind keine Firma, sondern ein Verein. Als alpiner Dienstleister und Naturschutzverein wollen wir einen Beitrag für die Gesamtgesellschaft leisten. Allerdings bekommen wir durch die Streichung von Förderungen nicht nur Steine, sondern ganze Steinhaufen vor die Füße geworfen. BI
Zur Person
RAINER SCHLATTINGER
Geboren 28. September 1961
Familie Verheiratet mit Anna
Wohnort Feldkirch
Beruf Geschäftsführer des Alpenvereins Vorarlberg