Von Bombay über London nach Chicago

Heimat / 10.08.2022 • 18:05 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Ronald George und Nina Pilpel, 1943. Pilpel family papers, US Holocaust Memorial Museum (2)
Ronald George und Nina Pilpel, 1943. Pilpel family papers, US Holocaust Memorial Museum (2)

Aus der jüdischen Familie Pilpel aus Hohenems wurde die christliche amerikanische Familie Pell.

Hohenems Die jüdische Familie Pilpel – Vater Franz, Mutter Marion und ihre 1932 in Hohenems geborene Tochter Nina – musste nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich 1938 fliehen und landete, wie bereits berichtet, zunächst in der indischen Metropole Bombay. Dort entschied sich die Familie schließlich, den Glauben zu wechseln. Von Franz Pilpel ist aus dem Februar 1942 eine römisch-katholische Taufe belegt, die den Lebenserinnerungen der Tochter zufolge auch sie und ihre Mutter erhielten. Marion Pilpel war zu dieser Zeit bereits in froher Erwartung und brachte am 12. Mai mit Ronald George ihr zweites Kind zur Welt.

Vier Christen auf der „Stratheden“

Sechs Jahre später verließen die Pilpels nun Indien an Bord des von Australien nach England verkehrenden Dampfschiffs „Stratheden“, das am 11. Oktober 1948, und damit einen Tag nach Ninas 16. Geburtstag, den Hafen von Tilbury am nördlichen Ufer der Themse erreichte. Während sich Franz und Marion mit ihrem Sohn Ronald bald um die weitere Ausreise in die USA bemühten und schon im Februar 1950 auf dem Dampfschiff „Queen Elizabeth“ den Hafen von New York erreichten, blieb die inzwischen erwachsene Nina zunächst in England. Im südlich von London gelegenen Croydon heiratete sie am 7. April 1951 den um vier Jahre älteren Roy Henry George Turner, wodurch sie fortan als Nina Turner in den Unterlagen aufschien. Auch das junge Ehepaar hatte die Absicht, in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern und so bestiegen sie eineinhalb Jahre später den Passagierdampfer „Veendam“, der am 19. Oktober 1952 in New York anlegte.

Staatsbürgerschaft erlangt

Die Ehe der Turners dürfte jedoch nicht sehr lange glücklich verlaufen sein. Ein Datum der Scheidung ließ sich zwar bislang nicht eruieren, jedoch ist bekannt, dass Roy Turner im April 1963 in Kalifornien erneut heiratete. In den Unterlagen zur Einbürgerung Ninas, die im August 1962 erfolgte, gab sie außerdem bereits an, nicht mehr mit ihrem Ehemann verheiratet zu sein.

Franz und Marion Pilpel erhielten schon im Februar 1956 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Zu dieser Zeit wohnten sie mit ihrem Sohn Ronald, der erst 1963 im Alter von 21 Jahren offiziell US-Amerikaner wurde, in Chicago.

Aus Pilpel wird Pell

Die Einbürgerung hatte auch eine Namensänderung zur Folge: Aus Franz Josef Pilpel wurde Frank Joseph Pell, den Nachnamen übernahmen auch Marion und Ronald. Wie dem Formular ebenfalls zu entnehmen ist, arbeitete Frank Pell in Chicago nun als „Colorist“, wobei eine Angabe, was genau er kolorierte, fehlt. Auch seiner Musik-leidenschaft konnte er nun wieder nachgehen, wie zumindest zwei Hinweise auf seine Kompositionen belegen.

Anerkannter Musiker

Neben dem Stück „Metadodekadion“, welches er 1959 dem Organisten und Orgellehrer Robert Lodine gewidmet hatte, weist auch ein Artikel in der Chicago Tribune aus dem Oktober 1963 darauf hin. Die Zeitung berichtete darüber, dass bei einem Konzert der 1922 in Wien gegründeten „International Society for Contemporary Music“ am 2. November auch ein Werk von Frank Pell zur Aufführung gelangen sollte. Es dürfte das letzte Mal gewesen sein, dass der Komponist dies selbst erlebte, da er nur vier Wochen später im Alter von 58 Jahren verstarb und in Chicago begraben wurde.

Marion Pell arbeitete zumindest im Jahr 1956 als Näherin. Während Ronald Pell am Beginn der 60er- Jahre noch die High School besuchte und sich dort nicht nur in der Schulzeitung, sondern auch (dem väterlichen Interesse folgend) im Schachklub engagierte, gab Nina Turner bei ihrer Einbürgerung 1962 an, als Kunstlehrerin und Werbegrafikerin in Chicago zu arbeiten.

Während Nina Turner in hohem Alter wieder ihre Geburtsstadt Hohenems besuchte, war ihrem jüngeren Bruder kein langes Leben vergönnt. Von Ninas Rückkehr und Ronalds gewaltsamem Tod lesen Sie in Kürze in der VN-Heimat. RAE

Roy Henry George und Nina Turner am Tag ihrer Hochzeit in Croydon, 7. April 1951.
Roy Henry George und Nina Turner am Tag ihrer Hochzeit in Croydon, 7. April 1951.