Wie Schafhirte René Schwendinger vor den Wölfen kapitulierte

Ein halber Alpsommer, 32 gerissene Schafe. Danach hatte René Schwendinger genug.
Dornbirn René Schwendinger (40) ist froh, wieder zu Hause zu sein. Mit dem Kopf weilt er freilich noch oft dort, wo er Traumatisches erlebte: auf der Alpe Valtüsch im Schweizer Kanton St. Gallen.
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Es hörte sich vor einigen Monaten gut an, als der Watzenegger vom Angebot Kenntnis nahm, den Sommer als Schafhirte auf der Alpe Valtüsch im Kanton St. Gallen zu verbringen. Ein Kumpel hatte ihm das offeriert. Dieser übernahm die dort sömmernden Rinder, Schwendinger als Schafspezialist sollte sich um diese kümmern. Die Aufgabe schien spannend, der Lohn war gut.
800 Schafe
Die erste Irritation tritt ein, als er mit der Zahl der zu betreuenden Tiere konfrontiert wird. Es sind knapp 800 Schafe in einem riesigen Gebiet zwischen 1900 und 2300 Metern Seehöhe. “Das allein zu bewältigen, ist eine Mammutaufgabe.” Der Wildhüter macht ihn gleich aufmerksam auf die besondere Gefährdung der Schafe auf bestimmten Weiden. “‘Das ist ein Wolfsgebiet’, sagte er mir.”
Der Alpmeister riet ihm, er müsse die Tiere in der Nacht einpferchen. Doch Schwendinger hat keine Helfer, die Schafe verteilen sich auf einer unübersehbaren Fläche, der Dornbirner ist als alleiniger Hüter der Tiere überfordert.

Der Hund beißt Kinder
Es kommt, wie es kommen muss. Am 24. und 25. Juni reißen Wölfe die ersten Tiere. Vier Schafe liegen fürchterlich zugerichtet da. Schwendinger wechselt die Weidefläche, zieht weiter herunter Richtung Hütte. Es herrscht für ein paar Tage Ruhe. Eine trügerische Ruhe. Dem Vorarlberger Schafhirte werden zwei Herdenschutzhunde angeboten. “Über eines der Tiere, ein Weibchen, sagte mir der Züchter jedoch gleich, dass es keine Kinder mag, und die gerne beißt.” Solche Hunde will Schwendinger nicht.
Ab dem 12. Juli geht es rund. Die Wölfe fangen an, ein Schaf nach dem anderen zu reißen. Immer wieder schlagen die Raubtiere zu. Auf den Weiden liegen überall verstreut halb gefressene, grausig zugerichtete Tiere. “Mehrere Schafe haben die Wölfe nur schwer verletzt. Sie lebten noch. Ich tötete vier von ihnen, weil ich dieses Elend nicht mehr länger ertragen konnte. Gedurft hätte ich es nicht.” Schließlich beginnen die Verantwortlichen gezielt mit der Intensivierung in der Errichtung von kostspieligen Herdenschutzmaßnahmen.
“Ich tötete vier Schafe. Ich konnte ihr Leiden nicht mehr ertragen. Gedurft hätte ich das nicht.”
René Schwendinger, Schafhirte
Psychisch zugesetzt
Schwendinger jedoch hat genug. Am 24. Juli verlässt er die Alpe Valtüsch mit der Zwischenbilanz von von über 30 durch Wölfe getöteten Nutztieren. In der Region, das hat Schwendinger inzwischen erfahren, hat man schon einige Weideflächen aufgegeben. “Dort wollte keiner mehr hin, um sich seine Schafe von den Wölfen reißen zu lassen”, erzählt der Dornbirner.
“Ich hätte niemals gedacht, dass es so extrem ist”, sagt Schwendinger heute im heimatlichen Watzenegg. Er gesteht, dass ihm die Ereignisse, die toten, zerfleischten und leidenden Schafe auch psychisch sehr zugesetzt haben. Seine Botschaft ist eine eindeutige: “Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wölfe uns die Alpen entreißen.”
