Wie ein Aspirin im Wasserglas

Karriere / 17.11.2023 • 16:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Tekla Farkas, Malaika Lermer, Lara Pauli, Julia Reisser, Olga Tomkowiak, Nele Wirth in „#dieteilzeitlosen“. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Tekla Farkas, Malaika Lermer, Lara Pauli, Julia Reisser, Olga Tomkowiak, Nele Wirth in „#dieteilzeitlosen“. Klaus Hartinger

Renate Aichingers Stück „#dieteilzeitlosen“ wurde im Theater Kosmos uraufgeführt.

Bregenz Zu den stakkatohaften Beats von „Funkytown“, jenem etwas verspäteten Disco-Klassiker (1980) von Lipps Inc., treten sechs junge Schauspielerinnen (Tekla Farkas, Malaika Lermer, Lara Pauli, Julia Reisser, Olga Tomkowiak, Nele Wirth), allesamt Studentinnen der Athanor Akademie (Akademie für Schauspiel und Regie in Passau), in Rollerskate-Outfits und mit dem Colgate-Lächeln der 80er-Jahre auf die Bühne und skandieren im Chor: „Heut‘ ist unser Tag – smile and run and left.” Der ganz normale Alltag einer erfolgreichen, jungen, sexy, healty wealty Frau kann beginnen …

Das Stück behandelt nicht nur das Frauenbild in der Werbung, sondern vor allem die Rolle der Frau heute. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Das Stück behandelt nicht nur das Frauenbild in der Werbung, sondern vor allem die Rolle der Frau heute. Klaus Hartinger

Die Autorin Renate Aichinger hat einen Text geschrieben, in dem eine Frau ein räsonierendes Selbstgespräch führt, eine äußerst subjektive Bestandsaufnahme des weiblichen Rollenmusters unserer Zeit. Dieser Stimme geben sich nun die sechs Schauspielerinnen hin. Die Stimme wird einmal in sechs verschiedene Stimmen gesplittet, dann wiederum wird gemeinsam im Chor die vielversprechende Karriere rezitiert, während sie auf den Rollerskatern munter ihre Kurven drehen und ab und an ihre „Workout-Übungen“ zum Besten geben. Die Choreografien, die immer wieder im Stück eingebaut sind, changieren zwischen Jane Fondas „Workout“ und Michael Jacksons „Thriller-Dance“.

Die Choreografien wechseln zwischen Jane Fondas „Workout“ und Michael Jacksons „Thriller-Dance“. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Die Choreografien wechseln zwischen Jane Fondas „Workout“ und Michael Jacksons „Thriller-Dance“. Klaus Hartinger

Den Texten hätte man noch einiges mehr an Tiefgang gewünscht, etwas mehr an Bitterbösem, etwas mehr an Sarkasmus, etwas mehr an Realismus. Das Frauenbild der Werbung der 1960er-, 1970er-, 1980er-Jahre ist zwar wesentlich sexistischer und auf Frauen als reiner Blickfang bezogen, aber hat sich diesbezüglich viel geändert im Hinblick auf die Werbung von heute? Mitnichten. Wenn man allein an eine Werbung aus dem Jahr 2018 (anlässlich der Fußball-WM) denkt, die mit dem Slogan „Back deinen Mann glücklich – auch wenn er eine zweite Liebe hat“. Es geht in diesem Stück aber nicht nur um das Frauenbild in der Werbung, es geht vor allem um die Rolle der Frau im Hier und Jetzt.

Tolle Ensembleleistung der jungen Schauspielerinnen.  <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Tolle Ensembleleistung der jungen Schauspielerinnen. Klaus Hartinger

Als Frau soll man selbstbestimmt sein, einen guten Job haben, erfolgreich sein, „double income, no kids“. Dann macht plötzlich der vielversprechenden Karriere das Kinderkriegen (aus dem Off ist die Stimme eines erwachenden Babys zu hören und eine Videoprojektion einer Ultraschallaufnahme eines Fötus wird im Bühnenhintergrund gezeigt) einen Strich durch die Rechnung, und der Schein vom perfekten Leben bekommt Brüche. Gewaltige Brüche. Kinderkriegen mutiert jetzt zur Projektarbeit, die Powerpoint-Präsentation wird zum Windelwechseln, die steile Karriere stürzt ins Burnout.

Was, wenn es kein Morgen gibt, oder noch schlimmer, wenn es genauso bleibt wie heute? <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Was, wenn es kein Morgen gibt, oder noch schlimmer, wenn es genauso bleibt wie heute? Klaus Hartinger

Das Einschlaflied, „Guten Abend, gut Nacht. Mit Rosen bedacht … Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt …“, das die sechs Schauspielerinnen hin und wieder vor sich hin summen, wird plötzlich zur einzigen Konstante des ganzen Stücks. Aber was, wenn es kein Morgen gibt, oder noch schlimmer, wenn es genauso bleibt wie heute? Dann flüchtet man sich in einen Erinnerungsoptimismus des ersten Italienurlaubs, Kind und Kegel in einem bis oben hin vollgepackten Auto, mit Schnorchel, Zelt und Liegestühlen (begleitet vom Sound „Ma il cielo e’ sempre piu’ blu“ von Rinu Gaetano) und back to Mamma. Sie war doch die Beste, „Herd statt home(-office) – versauern wie die Milch am Herd“.

#Dieteilzeitlosen im Theater Kosmos.  <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
#Dieteilzeitlosen im Theater Kosmos. Klaus Hartinger

Die Quintessenz des Abends: „Ziele, die sich auflösen wie Aspirin, oder Omas Kreuzworträtsel.“ Ein „Must-see-Stück“ für die Generation Z, weniger für die Ü60, die Déjà-vus hatten und das alles bereits hinter sich haben. Tolle Ensembleleistung!

Thomas Schiretz

Theater Kosmos

#Dieteilzeitlosen

www.theaterkosmos.at