Publikum wurde herausgefordert

Zum Schubertiade-Start konfrontierte Ian Bostridge die „Winterreise“ mit Britten.
Schwarzenberg. Die Nebel hängen tief, es ist kühl und es regnet. Die rechte Stimmung für Schuberts seelischen Schlechtwetter-Zyklus „Winterreise“, zumal mit dem Briten Ian Bostridge eine Lichtgestalt des Liedgesangs zur Verfügung steht. Doch der singt nur den ersten Teil, widmet sich dann seinem hier bei den Zuhörern weniger geschätzten Landsmann Benjamin Britten zu dessen 100. Geburtstag. Diesen mutigen Akzent zum Start der Schubertiade goutieren auch manch eingefleischte Bostridge-Fans nicht, etliche Plätze im Saal bleiben leer.
Man legitimiert die halbierte „Winterreise“ mit ihrer Entstehungsgeschichte, Bostridge aber macht in radikaler Deutung aus Zwielichtigkeit und Zerbrechlichkeit auch aus diesen ersten zwölf Liedern ein atemberaubendes Ereignis. Bei ihm gibt es keine halben Sachen, mit schonungslosem Körper- und Stimmeinsatz bringt er seine emotionale Spannweite ein, getragen vom wunderbar mitdenkenden Klavierpartner Julius Drake. Allein der viel strapazierte „Lindenbaum“ ersteht entlaubt von aller Romantik völlig neu, sein Wanderer ist eine Figur, die aus der Zeit gefallen ist, faszinierend in ihrer Verletzlichkeit.
Völlig andere Klangwelt
Das geistige Konzept dieses Abends, mit dem man das Publikum in unsere Zeit mitnehmen wollte, ist allerdings gescheitert. Brittens 1953 entstandener Liederzyklus „Winter Words“ taugt nicht als Fortführung der „Winterreise“, viel eher als Kontrast. Britten basiert in seinem Schaffen weit mehr auf Purcell als auf Schubert, seine Klangwelt ist eine völlig andere. Doch Bostridge macht diese von Melancholie und skurril britischem Humor geprägten Lieder durch seine Persönlichkeit, seinen bruchlosen Tenor zu faszinierend eigenständigen, authentischen Kostbarkeiten. Großer Jubel.
Tagesgespräch am Dienstag war, dass Thomas Quasthoff gleich in der ersten Stunde seines Meisterkurses für Liedgesang eine nicht mehr ganz junge Teilnehmerin, die gerade hier Lieder aus der „Winterreise“ vorbereitet hatte und diese nach Noten und unzulänglich sang, vor Publikum kurzerhand aus dem Kurs warf.
Glänzendes Debüt
Gestern Nachmittag dann ein familiäres Erlebnis vor vollem Haus. Der seit genau zwanzig Jahren hier als Publikumsliebling verehrte deutsche Tenor Christoph Prégardien (57) präsentiert in einem gemeinsamen Konzert nicht ohne Stolz erstmals seinen Sohn Julian (29) und verschafft ihm damit ein glänzendes Debüt. Der will freilich nicht auf den Vergleich mit dem berühmten Vater reduziert werden, hat sich bereits zuvor im Solo Opernbühne und Konzertsaal erobert.
Mit seinem gut sitzenden, hellen Tenor und in großer Lockerheit hat er auch hier die Zuhörer rasch erobert, beeindruckt solistisch etwa mit einem tadellosen „Musensohn“, kann dagegen bei Sologesängen von Brahms zu wenig Spannung halten. Wie es geht, führt Vater Christoph vor, der großartig bei Stimme ist und gemeinsam mit seinem langjährigen Klavierbegleiter Michael Gees wieder einmal allen zeigt, was ausgereifte Gesangskultur bedeutet.
In den Duetten finden die beiden Tenöre zu unglaublicher Übereinstimmung. Kein Wunder bei einem Vater, der seinen Sohn zunächst selbst ausgebildet hat. Neben originalen Brahms-Duetten wie „In stiller Nacht“ oder „Da unten im Tale“ verblüffen eigene Rollenverteilungen in Sololiedern wie Schuberts „Erlkönig“ oder „Wandrers Nachtlied“ als Kabinettstück endloser Atemtechnik. Und bei Brahms’ „Liebesliederwalzern“ wird, zum Gaudium des Publikums, fast so etwas wie kumpelhaftes Draufgängertum der beiden spürbar, die die Zuhörer längst ins Herz geschlossen haben.
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