Wertvolles einmal anders betrachtet

Ist es der Wert oder die Suche nach Legitimation? Anziehend ist Gauguin jedenfalls.
Basel-Riehen. Mit Geld hat Paul Gauguin (1848–1903) an sich gut umgehen können. Im Bankwesen geschult und dort auch viele Jahre tätig, verkrachte sich der Franzose nicht nur mit den Zahlen und Fakten, sondern auch mit einer bürgerlichen Lebensgestaltung und wählte mehr noch als die anderen Maler seiner Zeit ein Leben unter möglichst wenig Zwängen. Und das so kompromisslos, dass ihn selbst die Gesellschaft auf der Pazifik-Insel Tahiti bald zu strukturiert erschien. Unstet zog er sich auf ein noch kleineres Eiland, nämlich auf Hiva Oa zurück, wo er im Alter von erst Mitte fünfzig Jahren völlig verarmt starb.
Bevor man dazu versucht ist, seinen Freiheitsdrang als Vorbild oder dem Streben nach künstlerischer Legitimation entsprechend einzustufen, darf allerdings erwähnt werden, dass er dabei auch seine Pflichten als mehrfacher Familienvater von sich wies und angesichts seiner apodiktisch gefärbten Partnerinnenwahl unter südlicher Sonne wirkt ein Aspekt in seiner Biografie reichlich ironisch: Seine Großmutter ist die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Flora Tristan.
Einzigartige Schau
Freilich, wenn die Fondation Beyeler nun zu einem Ereignis oder mit Fug und Recht zu einer einzigartigen Schau ruft und eine große Gauguin-Ausstellung, die über mehrere Jahre geplant wurde, schließlich mit einer kolportierten Versicherungssumme von mehr als zwei Milliarden Euro realisiert, geht es um die Bilder. Besser gesagt, um das Spätwerk, das in dieser Zusammensetzung wohl kaum noch einmal zu sehen ist. Ein Blick auf die jeweiligen Provenienz-Angaben bestätigt, dass die rund 50 Werke aus aller Welt zusammengetragen wurden und dass es nicht selten eines besonderen Mäzenatentums bedurfte, dass ein Bild überhaupt auf Reisen gehen konnte.
Ausgerechnet jenem, das keine lange Fahrt hinter sich hat, galt schon im Vorfeld der Schau besondere Aufmerksamkeit. „Nafea faaipoipo“, das Porträt zweier Tahitianerinnen mit dem deutschen Titel „Wann heiratest du?“ aus der Sammlung Staechelin, das das Kunstmuseum in Basel bislang als Dauerleihgabe beherbergen konnte, wurde jüngst für eine Summe verkauft, die es zum teuersten Gemälde der Welt macht. Durchsucht man bisherige Hitlisten, kommt man auf einen Betrag von 250 Millionen US-Dollar, den es wohl gekostet haben muss. Wie auch immer, nach einigen weiteren Ausstellungsstationen soll das Werk, das 1892 entstand als Gauguin kaum noch Geld zur Beschaffung von Malutensilien hatte, in Katar seine wohl endgültige Position erreichen.
Beginn in der Bretagne
Weit weg wollte Paul Gauguin ja auch selbst. Folgerichtig beginnt die Schau jedoch mit den in den 1880er-Jahren in der Bretagne geschaffenen Arbeiten. Der Spätimpressionist befindet sich bereits auf dem Weg zum Expressionismus und beschreitet diesen über die von ihm geprägte Zwischenstufe – dem Synthetismus – durchaus zügig. Die „Vision der Predigt“, die jeder Pont-Aven-Besucher in der von der Tourismus-Industrie verhunzten Form vor die Augen geknallt bekommt, ist im Original vor der Auseinandersetzung mit den Südsee-Bildern unbedingt betrachtenswert. Deutlich voneinander getrennt sind Realität und Imagination bei der Darstellung der Betenden und Jakob im Kampf mit dem Engel. Ebenso eine Markstein im Œuvre ist der „Gelbe Christus“ mit den kugelartigen roten Bäumen und den fast märchenhaften Details, die im „Grünen Christus“ ein leicht bedrohliches Ausmaß annehmen. „Bonjour Monsieur Gauguin“ (1889) heißt ein Werk, in dem er sich selbst porträtiert und das nicht unbedingt auf ein Willkommensein hinweist.
Nie angekommen
Vielleicht ist der, der da in den Tropen schriftlich festhält, „in der Einsamkeit wieder erstarken zu können“, doch nirgendwo wirklich angekommen. Die Archaik und der mythologische Hintergrund seiner Südsee-Arbeiten sind das eine, die Bildgestaltung und die Kontrastierung der Farben das andere.
Beinahe scheint es so zu sein, dass in den „Barbarischen Erzählungen“ (1902) die beiden in ihrer Nacktheit selbstbewusst und gelassen da sitzenden Frauen vom europäischen Mann im Hintergrund (mit dem Gauguin wahrscheinlich seinen Malerkollegen Jacob Meyer de Haan porträtiert hat) gestört werden. Oder kann er die beiden Personen gar nicht mehr stören? Die Annahme scheint berechtigt. In den Frauenporträts zeigen sich nicht zufällig Parallelen zu den über allem stehenden Venus-Darstellungen Alter Meister.
In einer Phase, in der er seinem Leben ein Ende setzen wollte, malt er das nahezu monumentale Gemälde „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ (1897/98). Die Antwort gibt er nicht. Es ist die Zeit, in der einige solcher Lebensfriese entstehen. Gauguin, der zu erkennen gibt, dass er meinte, nicht mehr viel Zeit zu haben, lässt immerhin die Annahme zu, dass seine Statisten in der Landschaft einiges zu erzählen haben.
Es ist ja wohl nicht der Wert der Bilder, der die Ausstellung so anziehend macht, nebenbei ruft die Schau allerdings Überlegungen zu (Kunst)Marktmechanismen wach. Auch diese machen sie schließlich einzigartig.
Ich flüchte mich in die Wälder. Im Übrigen muss der Künstler frei sein, oder er ist nicht Künstler.
Paul Gauguin

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel ist bis 28. Juni, täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr geöffnet: www.fondationbeyeler.ch VN-Erlebnisreisen sind geplant
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