Der Verrückte und der Visionär

Die deutsche Wiedervereinigung hat nie stattgefunden, und Irland ist ganz einfach irre.
Romane. Kevin Barry ist das, was man ein irisches Original nennt. Er schaut aus, als wäre er einem James-Joyce-Roman entsprungen, und da sind wir eigentlich schon beim Thema. James Joyces Meisterwerk „Ulysses“ muss man nicht verstehen, um es zu mögen. Ähnlich verhält es sich mit Kevin Barrys Roman „Dunkle Stadt Bohane“.
Die Ganovenstadt
Bohane ist eine fiktive Stadt in Westirland, in der eine unangenehme, dahinvegetierende Ansammlung von Individuen lebt. Rivalisierende Banden stehen sich gegenüber, die Wirtschaft siecht dahin, die Korruption ist allgegenwärtig. Da der Roman im Jahre 2053 angesiedelt ist, liest er sich jetzt eher, als wäre man in der futuristischen Stadt „Sin City“ gelandet anstatt an der beschaulichen irischen Küste. Rein vom Verständnis her ist dieser Roman eine schwierige Angelegenheit, da die Übersetzung, gemäß dem Original, sehr stark mit einem norddeutschen Dialekt durchsetzt ist und zugleich den Leser auch inhaltlich ins kalte Wasser stürzt. Im Anbetracht von „Ulysses“ jedoch ein wunderbares Buch. Der Rückzug in ein Pub und ein wenig Zeit zum Tüfteln ist sicher kein Fehler.
Heiterer und viel klarer geht es in Thomas Brussigs Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ zu. Brussig ist neben Alexander Osang und Ingo Schulze der „Wende-Autor“ schlechthin. Ob es sich nun um seinen epochalen Roman „Helden wie wir“ oder um den Monolog „Leben bis Männer“ handelt, Brussig verarbeitet gerne die ostdeutsche Geschichte. In seinem neuen Roman geht er jedoch ein Stück weiter: Er ignoriert die Wiedervereinigung Deutschlands und erdenkt sich ein Leben in der DDR nach 1988 bis hinein in die heutige Zeit.
Das „Who’s Who“ der DDR
Thomas Brussig spielt sich sehr gerne mit den Persönlichkeiten des täglichen Lebens: Gregor Gysi wird zum Beispiel ZK-Sekretär, und weil es durchaus so sein könnte: Ingo Schulze bekommt den Literaturnobelpreis zugesprochen. Die DDR verliert mit Michael Ballack in der Fußball-WM 2006 nur knapp gegen die BRD, dafür fiel die DDR trotz Botschafter Günter Grass bei der Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2008 durch. Die Wiedervereinigung wird nur selten zum Thema gemacht.
Brussig wird in den Momenten einfühlsam, wo es um die Stasi und deren Zugriff auf das Individuum geht. Einmal mehr sieht man, wie eine Diktatur mit Individuen umgeht, die eben als störend empfunden werden. Hier ist die tiefe Einsamkeit und die Kälte zu spüren, die Intellektuelle in Osteuropa im Kommunismus zu spüren bekamen. Trotzdem ist dieser Roman jetzt nicht als „große Abrechnung“ zu sehen – und das ist auch gut so. Die Leser, die gerne politisch denken und trotzdem eine Portion Humor vertragen, die sind bei Brussig gut aufgehoben.

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