Wunderbar leichtfüßig

Emily Walton bietet mit einem Buch mit skurrilem Titel Einblick in Arbeits- und Liebesleben.
Roman. (bs) Die französische Riviera ist 1926 ein Geheimtipp, die Orte an der Küste verschlafene Nester, in die sich im Sommer kaum Touristen verirren. Wer etwas auf sich hält, fährt in den kühlen Norden. Noch sind sie unter sich, F. Scott und Zelda Fitzgerald, das reiche, kultivierte Ehepaar Gerald und Sara Murphy mit seinen Gästen und natürlich Ernest Hemingway, der noch unbekannte Autor, der gerade aus Spanien kommt. Er schreibt an seinem ersten Roman „Fiesta“, aber er zweifelt noch. Fitzgerald, der vor Kurzem „Der große Gatsby“ veröffentlicht hat, nimmt sich des jüngeren Kollegen an, lektoriert sein Manuskript, gibt Ratschläge, schließlich hat er Hemingway an seinen eigenen Verlag vermittelt und bürgt für sein Talent. Fitzgerald selbst ist 1926 auf dem Höhepunkt seines Ruhms, stürzt sich ins (Nacht-)Leben und erregt auf Partys Aufsehen. Eigentlich will er in diesem Sommer seinen neuen großen Roman schreiben, aber es gelingt ihm nicht. Erst 1934 wird „Zärtlich ist die Nacht“ erscheinen, Fitzgerald wird 1940, gezeichnet von exzessivem Alkoholkonsum, mit 44 Jahren sterben.
Emily Walton reiht in ihrem Porträt eines Sommers mit dem Titel „Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte“ nicht nur spaßige Episoden mit berühmten Protagonisten aneinander und gönnt uns Normalsterblichen einen Blick auf die Weltliteratur in Badehosen. Sie zeigt anhand dieses versunkenen Sommers so viel mehr auf, rekonstruiert die Wege der Einzelnen an diesen Flecken Strand, sie beleuchtet die wirtschaftlichen Hintergründe – der Franc stand gerade gut für die Amerikaner –, sie zeigt die Anfänge des Sommertourismus an der Riviera, sie fühlt sich dank akribischer Recherche intensiv ein in Ehen und Freundschaften, in Schriftstellerbeziehungen – und wir sind quasi in der Schreibwerkstatt der allzu menschlichen späteren Nobelpreisträger Zeugen der Zweifel und Wünsche, die jeder Autor kennt.
Ein Vergleich
Insofern erinnert das Buch an Volker Weidermanns „Ostende 1936, Sommer der Freundschaft“. Dort treffen sich Schriftsteller um Joseph Roth und Stefan Zweig einen letzten Sommer in Ostende, ehe der Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs losbricht. Bei Walton zieht zwischen all der sommerlichen Ausgelassenheit und Fröhlichkeit an der Côte d’Azur die Wirtschaftskrise herauf. Noch herrscht die Ruhe vor dem Sturm, eine wunderbar zu lesende, leichtfüßige, manchmal amüsante, manchmal verzweifelte Ruhe.

Emily Walton: „Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte“, Braumüller Verlag, 168 Seiten.
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