Die Fülle im leeren Gemälde

Die süddeutsche Künstlerin Margit Hartnagel zeigt zarte, aber eindrückliche Malerei bei KunstVorarlberg.
FELDKIRCH. (ag) „Ich schaue gerne auf die leere Leinwand.“ Diese Aussage von Margit Hartnagel sagt schon ziemlich viel über eine Malerei aus, die sich in den letzten zehn Jahren mit den Möglichkeiten eines „leeren Gemäldes“ befasst hat. Neue Arbeiten der Künstlerin sind in der Villa Claudia in Feldkirch zu sehen.
2010 konnte man in der Galerie allerArt den Arbeiten von Margit Hartnagel hierzulande erstmals begegnen. Damals spielte die Künstlerin bereits mit zarten Anwandlungen von Farbe. Zwar noch homöopathisch dosiert, kam dies nach der längere Zeit praktizierten strengen Reduktion auf die Nichtfarben Schwarz, Weiß und Grau, auf Punkt, vertikal und horizontal dennoch einem Quantensprung gleich. Dass die jüngsten Werke von Margit Hartnagel ungleich farbintensiver sind, die Pigmente in Magenta, Pink, Orange und Gelb von den Leinwänden leuchten, ist nach den Jahren in Wien, wo sie studiert hat, wohl auch der Rückkehr der Künstlerin ins heimatliche Allgäu und zu ihren Wurzeln geschuldet. Lichter und feinstofflicher geworden, stehen in der Überlagerung horizontaler Farbschichten und subtilster, ineinander verfließender Übergänge der leere Raum und die (Bild-)Mitte aber nach wie vor im Fokus der künstlerischen Überlegungen. Die abstrakte Komposition bleibt Thema. Es ist, was es ist. Nichts Konkretes, keine Form, keine Geschichte, bedeutet doch Malerei für die Künstlerin die Suche nach dem, was nicht weiter zu reduzieren ist. Am Anfang des Prozesses der Bildentstehung stehen der Blick auf die leere Leinwand und ein kontemplativer Zugang. „Wie ein Kind, das zuerst den Himmel und die Erde malt“, so Hartnagel, definiere sie oben und unten im Bild. Das Dazwischen, um das es eigentlich geht, das Verbindende, ergibt sich aus der Gleichzeitigkeit. Aber auch aus der Dualität von materiell und immateriell, von Verortung und Nicht-Verortung, die sich im Titel der Ausstellung wiederfindet, der einem Gedicht von Octavio Paz entlehnt ist und „Alles ist Nirgendwo“ lautet.
Physisches Gegenüber
Nicht ganz quadratisch, nicht mehr so objekthaft, sondern als flachere Bildkörper, bilden die bevorzugten Formate von 160 x 170 cm ein physisches Gegenüber. Und sie spiegeln, für Margit Hartnagel als Format noch zu bewältigen, zu fassen, die Pinselstriche mit der Bewegung ihres Armes und ihrem Atemzug noch zu setzen, den Körper der Künstlerin. Ab und an erlaubt sich Margit Hartnagel einen Ausbruch aus ihrer selbst gewählten Beschränkung, doch bleiben eine Arbeit in Blau („zu kühl“) oder eine gefüllte Bildmitte („zu dicht“) die Ausnahmen.
Fluide Malerei
Dann und wann schleicht sich auch der Gestus ein, wenn zwei kräftige Pinselstriche, mit Vehemenz und Dynamik horizontal am oberen und unteren Bildrand gezogen, als absolute Setzungen erscheinen. Ansonsten bleibt aber die Schwebe, ein philosophisches Fragen und Forschen mittels dieser fluiden Malerei und im Nachhall der Farbe, der Dauerzustand in den Arbeiten. Am Rande des Wahrnehmbaren schafft die Künstlerin bei aller Leergeräumtheit einen emotionalen Raum, einen „Zustand der präzisen Unschärfe“, berührt mit ihren Arbeiten Fragen des Seins und des Frau-Seins, feministisch im besten Sinn des Wortes.
Dass bei aller Determiniertheit, die rund um uns herum in der Welt herrscht, Freiräume entstehen können, die jeder für sich nach Belieben mit seinen Gedanken füllen kann und die eigenes Sehen zulassen, ist eine große Qualität der Werke der Künstlerin Margit Hartnagel.
Zur Person
Malerin Margit Hartnagel
Geboren: 1970 in Ravensburg
Ausbildung: Akademie der bildenden Künste, Wien; Universität für angewandte Kunst, Wien
Laufbahn: zahlreiche Ausstellungen, u.a. in Wien, Bratislava, Brüssel, Hamburg
Auszeichnungen: u.a. Meisterschulpreis, Preis der Stadt Friedrichshafen
Wohnort: Wangen/Allgäu
Die Ausstellung ist in der Villa Claudia, Bahnhofstraße 6, in Feldkirch, bis 12. Juni geöffnet, Fr, 16 bis 18, Sa, 15 bis 18, So, 10 bis 12 und 15 bis 18 Uhr.
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