Wie ein Tattoo für den lieben Gott

Kultur / 20.05.2016 • 22:51 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Glasfenster in der Kirche Feldkirch-Levis, entworfen vom Vorarlberger Künstler Martin Häusle (1903–1966).  Fotos: Rudolf Sagmeister
Glasfenster in der Kirche Feldkirch-Levis, entworfen vom Vorarlberger Künstler Martin Häusle (1903–1966).  Fotos: Rudolf Sagmeister

Mit „Leuchtende Bilder“ wird ein einzig­artiges Kirchenfensterprojekt gestartet.

Bregenz, Feldkirch. Im Grunde genommen hat jeder Vorarlberger Ort einen oder mehrere Kunsträume, die als solche oft gar nicht wahrgenommen werden. Wie das die kirchlichen Würdenträger oder Seelsorger sehen, die das Sakrale im Blickfeld haben, sei dahingestellt, in Zeiten, in denen die Auftragslage für zeitgenössische bildende Künstler alles andere als berauschend war, bot die Kirche oft eine willkommene Herausforderung. In Vorarlbergs Städten und Gemeinden befinden sich kaum mittelalterliche Kleinode, Kirchenfenster, die vor allem im 19. und im 20. Jahrhundert bzw. bis in die Gegenwart herauf entstanden sind und entstehen, finden als Kunstwerke an sich wenig Beachtung. „Zu Unrecht“, erklären die beiden bekannten Kunsthistoriker Kathleen und Rudolf Sagmeister und wirken dem seit Jahren entgegen. Unter anderem mit der fotografischen Auflistung der Arbeiten. Jener Teil ihrer Dokumentation, der sich auf Vorarlberg bezieht, erfährt nun große Beachtung. Neben dem Vorarlberg Museum, das die Unterstützung eines solchen Projektes wohl auch als seine Aufgabe sehen muss, ziehen der Kunstverein im Palais Liechtenstein in Feldkirch sowie die Diözese mit, um nicht nur zwei besondere Ausstellungen zu realisieren, sondern auch eine Online-Plattform, die mannigfaltige Informationen bietet.

Enorme Wirkung

Die erste Schau – jene im Vorarlberg Museum – wurde am gestrigen Abend eröffnet. Das große Atrium erweist sich als idealer Ort für eine Präsentation, in der die auf Plexiglas aufgezogenen Kirchenfensterfotografien vor neutralem Hintergrund eine enorme Wirkung erzielen. Zu ebener Erd und in jedem Stockwerk bietet sich dem Betrachter ein neuer Einblick, der Zugänge zu Details eröffnet, die im eigentlichen Umfeld oft schwer zu entdecken sind. Ein Vergleich mit einem Tattoo, den Rudolf Sagmeister einwirft, mag weit hergeholt sein, bei genauer Betrachtung eines Fensters mit einer Nepomuk-Darstellung in Doren erhellt sich seine Bemerkung. Die floralen Muster, die sich schwarz umrandet abzeichnen, könnten in der Tat Motivvorlagen für die Kunst auf der Haut sein. Das Werk wurde um 1900 in Innsbruck als Beispiel jener Tiroler Glasmalerei geschaffen, die in Vorarlbergs Kirchen weit verbreitet ist. Volksfrömmigkeit und Tugenden galt es zu betonen, neben den jeweiligen Kirchenheiligen und biblischen Szenen scheint oftmals die heilige Familie auf, gerne auch mit Tätigkeiten beschäftigt, die den Wert der Arbeit vermitteln sollen.

Politik

Ein spezielles Beispiel für die Geschichte Vorarlbergs stellt sich in der Pfarrkirche in Wolfurt dar. Bekanntermaßen trat die katholische Kirche nicht grundsätzlich als Gegner des Nationalsozialismus auf, man hatte sich vielmehr mit den Machthabern arrangiert. Regional regte sich aber Widerstand, der sich auch in Kirchenfenstern manifestiert. So wurden in der Pfarrkirche in Wolfurt im Jahr 1938 – gerade noch rechtzeitig vor dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland und der damit verbundenen Auflösung von nicht regimegerechten Vereinigungen – neue Fenster eingebaut und mit der Inschrift „Der Herr allein war ihr Führer“ versehen.

Häusle, Krcal, Fetz

Ab den 1950er-Jahren entstanden im Zuge von Kirchenneubauten und Renovierungen zahlreiche Fenster, die von Vorarlberger Künstlern entworfen und gestaltet wurden. Der berühmteste davon ist wohl Martin Häusle (1903–1966), dessen Œuvre sich quasi bei einer Fahrt durch das Land und bis ins angrenzende Ausland nachvollziehen lässt.  Einer der beeindruckendsten Zyklen befindet sich in Feldkirch-Levis, wo der Künstler für den Frieden, aber auch für den Tod und die Apokalypse eine lebendige Darstellungsweise findet und durch die Farbwahl eine enorme Leuchtkraft ermöglicht. Ein besonderes Beispiel für das Aufeinandertreffen von Realismus und Abstraktion befindet sich auch in der Herz-Jesu-Kirche in Bregenz oder in der Pfarrkirche in Götzis. Die Auseinandersetzung mit zeitgemäßer Ausdruckskraft finden wir bei Leopold Fetz (Bregenz, Mariahilf), der bekannte Fritz Krcal schuf eine Christi-Geburt-Darstellung in der Pfarrkirche in Hohenems, und in der Bregenzer Sankt-Gebhard-Kirche ist Hubert Berchtold zu begegnen – mit der Darstellung des heiligen Heinrich. Sich auf der Plattform www.leuchtende-bilder.com aufzuhalten ist auf jeden Fall lohnend, begegnet man hier doch auch einem Fritz Pfister, der mit großer Könnerschaft vom Gegenständlichen abrückte, bevor es etwa der große Gerhard Richter im Dom von Köln tat, oder Imi Knoebel in der Kathedrale von Reims. Dass man die Gelegenheit wahrnimmt, ein umfangreiches Rahmenprogramm anzubieten, versteht sich von selbst.

Einzelne Details zur Machart der Glasfenster werden bereits im Vorarlberg Museum beleuchtet, der Aufwand und vor allen die künstlerischen Voraussetzungen sind im Feldkircher Palais Liechtenstein nachvollziehbar, wo Skizzen und Entwürfe von Häusle präsentiert werden.

Die Qualität der Kirchenfenster in Vorarlberg wurde lange Zeit viel zu gering eingeschätzt.

Rudolf Sagmeister
Fulminante Schau im Atrium des Vorarlberg Museums in Bregenz.
Fulminante Schau im Atrium des Vorarlberg Museums in Bregenz.
Kunsthistorikerpaar Kathleen und Rudolf Sagmeister.  Foto: VN/KH
Kunsthistorikerpaar Kathleen und Rudolf Sagmeister. Foto: VN/KH

Die Ausstellung im Vorarlberg Museum in Bregenz ist bis 26. Juni geöffnet, jene im Palais Liechtenstein in Feldkirch wird am 21. Mai, 11 Uhr, eröffnet und ist bis 10. Juli zu sehen: www.leuchtende-bilder.com

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