Orfeo sieht und singt doppelt

Kultur / 01.02.2017 • 22:53 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Orfeo sieht und singt doppelt

Das Landestheater bietet für die angereicherte Oper auch entsprechende Stimmen auf.

Bregenz. Christoph Willibald Gluck kam in seiner berühmt gewordenen, 1762 uraufgeführten Oper „Orfeo ed Euridice“ („Orpheus und Eurydike“) mit wenigen Personen aus. Neben dem Liebespaar gibt es nur noch einen Amor. Der Rest ist für Chor gesetzt. Was die Verzierungen betrifft, ließ der strenge, aus  Deutschland stammende und später in Wien ansässige Reformer mit sich reden. Das hat neben der Version für Paris aus dem Jahr 1774 zur Parma-Fassung geführt, die dort 1769 präsentiert wurde und von Michael Hofstetter präferiert wird. Der aus München stammende Dirigent hat dieses Werk quasi ausgegraben, realisierte es im Rahmen des Festivals styriarte in Graz konzertant und leitet nun erstmals das Symphonieorchester Vorarlberg, das – jedes Jahr im Fasching – gemeinsam mit dem Landestheater eine große Opernproduktion stemmt.

Mehr drin

Es ist, wenn man so will, ein bisschen mehr drin als draufsteht. Hatte bei der Uraufführung ein Alt-Kastrat den Orfeo zu singen, so war es 1774 in Paris ein Haute Contre und im erwähnten Parma (wo die Anwesenheit von Gluck auch auf die Hochzeitspolitik von Kaiserin Maria Theresia zurückzuführen ist) ein Sopran-Kastrat. Für unsere Ohren und in einer Zeit, in der Sänger keine chirurgischen Eingriffe mehr erdulden müssen, heißt das schlicht und einfach, dass es einen Countertenor mit sehr heller Färbung und viel Kraft braucht. In Graz war das der deutsche Valer Sabadus, für Bregenz wurde der aus Korea stammende, seiner Biografie nach als Weltbürger zu bezeichnende David DQ Lee engagiert. Er hat am gestrigen Premierenabend das Publikum im Kornmarkttheater zum stärksten Applaus animiert. Die Stimme ist in der Tat von einer Schönheit, die wohl auch Zuhörer, die ihre Empathie zu zügeln wissen, den Atem anhalten ließ oder zu Tränen rührte. Sein „Che faro senza Euridice“ wird man im Ohr behalten, so klar, wahrhaftig und unerbittlich steht es im Moment, in dem er Eurydike zum zweiten Mal verliert, im Raum, den ihm nicht nur der Dirigent durch die Tempobehandlung bereitet, auch die Regie überlässt ihn dabei in absoluter Leere. Die Partie wirkt in dieser Parma-Fassung mit ihren leichten Verzierungen ansonsten ungewöhnlich kühl, aber letztlich nachvollziehbar und David DQ Lee hat damit wohl besondere, luzide Moment geschaffen.

Gerundetes Klangbild

Für die deutsche Sopranistin Daniela Gerstenmeyer ist die Eurydike ein Rollendebüt, das sie glänzend bewältigt hat. Hörbar aufgrund eines angepeilten Klangbildes engagiert, dürfte sie die Anforderungen von Michael Hof­stetter und des Leading-Teams erfüllt haben. Die Britin Keri Fuge singt ebenfalls zum ersten Mal den Amor und bringt neben allen technischen Erfordernissen eine gewisse Heiterkeit mit ein, was das Bild schön rundet. Die Schäfer, Nymphen und Furien sind gut ein Dutzend Mitglieder des Bregenzer Festspielchors, die von Benjamin Lack für die Aufgabe geschult wurden. Mit Erfahrungen im Bereich der Sakralmusik lässt sich das spätbarocke Werk nicht nur gut bewältigen, die Raumakustik lässt auch Einzelstimmen durchhören, und zwar höchst angenehm.

Ob „historisch informiert“, wie es allgemein heißt, oder einem Originalklang nachspürend, Michael Hofstetter – seit Jahren mit Musik aus dem 18. Jahrhundert befasst und in Vorarlberg etwa auch dem Schubertiade-Publikum bekannt – macht sich nicht viel aus Begriffen, sein Bregenzer „Orfeo“ bzw. „Orpheus“ lässt den Schluss zu, dass er das Orchester, das Barocktrompeten kennt, ansonsten aber auf neuen Instrumenten spielt, als Geschichtenerzähler versteht, der Schmerz, Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung, Überzeugtheit und Liebe zu vermitteln hat und das auch nach Tempovorgaben und in gut getroffener Strenge mit einem Ergebnis tut, das das Kornmarkttheater gestern Abend zu einem besonderen Klangraum machte, was dazu führte, dass das Publikum ungewöhnlich lang auf den Plätzen verharrte.

Gegen die Inszenierung von Alexander Kubelka hatte es nichts einzuwenden, auch wenn der Applaus nach dem Vorhang für die Sänger abebbte. Der Intendant des Landestheaters trat schon mehrmals in der Rolle des Opernregisseurs auf, bietet ein nachvollziehbares Konzept, hat gemeinsam mit seinen Ausstattern Florian Etti (Bühne) und Andrea Hölzl (Kostüme) der Musik aber wenig entgegenzuhalten. 

Verständlich, nicht berührend

Orpheus hat also den Tod seiner geliebten Eurydike zu beklagen, darf hinabsteigen in den Hades, besänftigt mit seiner Sangeskunst die Furien, soll Eurydike wieder finden, aber nicht anblicken. In der Unterwelt keinesfalls leidend, zweifelt diese an der Liebe ihres für sie merkwürdig abweisenden Mannes. Dieser emanzipiert sich vom Gebot der Götter, blickt sie an, verliert sie erneut, will sich töten und erreicht – bei Gluck – aber das Erbarmen Amors, der die beiden wieder zusammenführt. Eurydikes Ringen um eine Entscheidung soll mit einer Puppe als Ebenbild betont werden. Dieses Spiel verwirrt zumindest nicht, bringt aber nicht unbedingt weiter. Ein Amor, der neben dem Gesang mit Pinsel und Farbe die bildende Kunst als Element mit einbringt, bewirkt da etwas mehr, erzeugt neben dem Herz mit den Initialen des Paares, das zur Ouvertüre auf den sich erst danach hebenden Bühnenvorhang gemalt wird, aber genau so keine stringenten Bilder wie die Folientunnel, die vom Schnürboden schweben. Man hat es verstanden, wie die im Proszenium hingemalten Augen, erhellend und berührend wirkte die Musik.

„Orpheus und Eurydike“ am Landestheater: Auch Amor betätigt sich künstlerisch, und Eurydike gibt es zwei Mal.
„Orpheus und Eurydike“ am Landestheater: Auch Amor betätigt sich künstlerisch, und Eurydike gibt es zwei Mal.
In Christoph Willibald Glucks 1762 uraufgeführter Oper findet die Geschichte der Liebenden Orpheus und Eurydike ein gutes Ende: So auch am gestrigen Premierenabend.  Fotos: VN/Sams
In Christoph Willibald Glucks 1762 uraufgeführter Oper findet die Geschichte der Liebenden Orpheus und Eurydike ein gutes Ende: So auch am gestrigen Premierenabend. Fotos: VN/Sams

Nächste Aufführung der Oper am 3. Februar im Theater am Kornmarkt in Bregenz und weitere bis 26. Februar: www.landestheater.org

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