Wer einmal lügt, dem glaubt man

Tom Kummer
Nina und Tom
Blumenbar
256 Seiten
Tom Kummer, der „Bad Boy“, räumt bei sich auf. Und zwar mit Erfolg.
Romane. Tom Kummer ist ein ziemlich frecher Bub: Im letzten Jahrhundert schrieb er in den besten deutschen Magazinen, vornehmlich im Feuilleton bzw. auf den Kulturseiten über die Stars von damals. Die Jugend kennt ihn kaum noch, denn Tom Kummer war eben Zeitgeist und Zeitgeist welkt bekanntlich am schnellsten. Ungut auch, dass sich ein Teil seiner Reportagen als Fälschungen herausstellte und der Autor zum Bad Boy des deutschen Journalismus avancierte. Auf alle Fälle reicht seine durchwachsene Lebensgeschichte, dass sein autobiografischer Roman „Nina und Tom“ ins Auge fällt.
Der Abenteurer
Gleich am Anfang stellt Kummer klar, dass seine Frau Nina dieses Buch nicht überleben wird, sie hat Krebs, sie hinterlässt zwei Kinder im Schulalter: Kurz gesagt, sie wird zu früh aus dem Leben gerissen. Die Dramaturgie ist also vorgegeben. Dieser Roman hat jedoch nichts von der nun erwarteten Schwere oder Melancholie. In einem Rückblick erzählt der Autor die Stationen ihrer Beziehung: Kurz, prägnant, knackig, kein Wort zu viel, treffsichere Metaphern. Ein Abenteuer folgt dem anderen, mitgefilmte Brandanschläge in Barcelona, die Zeit vor dem Mauerfall in Berlin und die große Freiheit in Los Angeles. Dazwischen stirbt seine Frau.
Die beiden sind auf der Suche nach dem Nichts, Oliver Stones „Natural Born Killers“ kreuzt sich mit „Bonny und Clyde“, wenn man so will. Wenn man in dieser Liebesgeschichte ein Manko sehen will, ist es die Künstlichkeit, in der sie stattfindet. Tom Kummer ist ein Meister der Beschreibung einer Verpackung, ein Veredler prekärer Lebensumstände. Die Realität wird also durch Tom Kummers Brille betrachtet, eine Ästhetik, die einen virtuellen Raum öffnet, ein Videoclip über das Leben. Schlussendlich ist es eine mitreißende, wortgewandte Geschichte, bei der das Vermischen von Realität und Fiktion ein legitimes Stilmittel ist.
Irgendwo in Deutschland
Heinz Strunk muss sich der Frage des Wahrheitsgehalts glücklicherweise nicht stellen. In seinem Roman „Jürgen“ verfolgt er das Leben eines eher unterdurchschnittlichen Deutschen, einer von diesen, die kurz vor der Wahl von der Politik durch Versprechungen überhäuft werden, um sich kurz danach wieder von ihnen zu verabschieden. Gelegentlich tauchen diese Herren dann im Reality-TV der Privatsender auf, wenn sich Deutsche beispielsweise eine Frau in Polen „besorgen“. Unglückliche Menschen also, in noch unglücklicheren Situationen. Heinz Strunks Protagonist, Jürgen Dose, ist einer von ihnen. Einmal mehr dringt der Autor ins Reich des deutschen Kleinbürgers ein, in die Welt der immerfort Zukurzgekommenen. Er durchbricht diese Verdrossenheit mit der großen Verlockung, aus dem Leben auszubrechen, die zwangsläufig misslingt. Jetzt nicht mit der Vehemenz und dem Spiel mit der Abnormität, welches der Autor bei seinem letzten Roman „Der goldene Handschuh“ verfolgte, dieses Mal filtert er sich ein Elaborat aus den Zutaten verfehlter Lebensträume. Wer ein Leben lang Zielen nachläuft, wird sie auch im letzten Abdruck kaum erreichen können.

Heinz Strunk
Jürgen
Rowohlt
251 Seiten
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.