Ein Morgen, verflucht nah dran an der Seligkeit

Das Trio „Utro“ aus Rostov am Don beschwor die Geister vergangener Tage.
Feldkirch. Post-Punk ist nicht der ungepflegte junge Herr, der die Werbung in den Briefkasten wirft. Nein, es ist ein Genre der Popularmusik, das Ende der 1970er-Jahre aus dem Punk hervorging und die alternative Rockmusik bis in die Gegenwart prägt. „Utro“, was so viel bedeutet wie „Ein Morgen“, reizen diese Schablone mit russischem Minimalismus seit Jahren bis zum Exzess aus. Es ist der Weitsicht des Veranstalters geschuldet, diese Gruppe nach Vorarlberg gelotst zu haben. Reich wird man dadurch sicher nicht, aber Lorbeeren lassen sich so allemal verdienen.
Geschichtsstunde
Wir schreiben den 24. November 1989. Die US-Band „Nirvana“ spielt im Konkret in Hohenems vor maximal zwölf Zuhörern. Bassist Krist Novoselić erinnert sich an „ein paar Hinterwäldler, die Sachen wie ,Come on, bay-beee, play something hea-veee‘“, rufen. Ein Abend, der insofern Geschichte schrieb, da jeder jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt, der scheinbar vor Ort war. So und nicht anders geht Legendenbildung.
Musikarbeiter
Es wäre keinesfalls verwunderlich, wenn über das Konzert von „Utro“ im Keller des JUZ Graf Hugo in 20 Jahren ähnlich gesprochen wird. Vor nicht einmal 20 Leuten im Publikum spielten die dem jugendlichen Alter längst entwachsenen Russen am Donnerstagabend ein Set, das energiegeladener kaum sein könnte.
Mit Schlagzeug, Bass sowie abwechselnd Synthesizer und Gitarre tastete man sich assoziativ an Gruppen wie „Joy Division“ und „New Order“ heran, ohne den Großmeistern je zu nahe zu treten. Das ist hohe Kunst, ganz großes Kino, und auch dem Umstand geschuldet, dass sich die Herren auf der Bühne durch die komplette Abwesenheit von Charisma selbst in den Hintergrund stellten, sich zu Musikarbeitern degradierten.
Gesungen wurde in der Muttersprache, die Stimme mit dezentem Echo-Effekt unterlegt. Man kann nur mutmaßen, dass es sich um existenzialistische Lyrik handelt, und alles andere würde vom Gesamtkonzept her eigentlich keinen Sinn ergeben. Wovon sonst können Titel, die, sofern das Übersetzungsprogramm korrekt ist, „Die Sonne“ oder „Fluch“ heißen, sonst schon handeln? Wie sagte schon Albert Camus: „Wenn die Welt klar wäre, gäbe es keine Kunst.“
Ein Konzert, das noch sehr lange in Erinnerung bleibt. Bei denen, die dabei waren, und in ein paar Jahren bei denen, die welche kennen, die wiederum welche kennen, die dabei waren. Wie schon Jean-Paul Sartre schrieb: „Viele junge Leute ereifern sich über Anschauungen, die sie in 20 Jahren haben werden.“
Kommende Veranstaltungen im Graf-Hugo-Keller: 2. Juni: „My Home on Trees“; 17. Juni: „Ashkara“