Ein digitales Herbarium

Kultur / 19.10.2017 • 18:38 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
 „Unser idealisiertes Naturverständnis ist eine Illusion“, sagt Elisabeth Eberle, deren Werke nun in der Johanniterkirche zu sehen sind. VN/Steurer
 „Unser idealisiertes Naturverständnis ist eine Illusion“, sagt Elisabeth Eberle, deren Werke nun in der Johanniterkirche zu sehen sind. VN/Steurer

Elisabeth Eberle veredelt Fundstücke aus der Natur zu interessant bizarren Objekten.

FELDKIRCH Mit „Noli me tangere“ ist die letzte Ausstellung des Jahres in der Feldkircher Johanniterkirche der Schweizer Künstlerin Elisabeth Eberle und einem stark naturwissenschaftlich geprägten Zugang zur Kunst gewidmet. Im Fokus der künstlerischen Recherchen der studierten Pharmazeutin und leidenschaftlichen Zeichnerin, Malerin und Bildhauerin steht in den letzten Jahren der Magnolienbaum. Es ist allerdings nicht die unvergleichliche Blütenpracht, die uns Magnolien alljährlich im Frühling bescheren, auf die Elisabeth Eberle abzielt. Vielmehr ist die Künstlerin fasziniert von den Fruchtständen des aus Ostasien stammenden Baumes, die sie auf einem langen Weg der Aneignung in Skulpturen überträgt und nun wie ein bestelltes Feld im Kirchenraum ausbreitet.

Synthetisch, natürlich

Schon lange setzt sich Elisabeth Eberle mit gewachsener Natur und digital-synthetisch hergestellter Künstlichkeit auseinander. Wurde in barocken Wunderkammern noch streng unterschieden zwischen artificalia und naturalia, sind die Grenzen obsolet geworden, Formen aus der Natur werden adaptiert und technisch weiterentwickelt. Von ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und Erfahrung profitierend, analysiert und „erfindet“ die Künstlerin Synthetisches und Natürliches neu. Dabei bedient sie sich sowohl manueller Methoden als auch digitaler Prozesse und hinterfragt, was beim Transfer und den Rückkoppelungen mit den Dingen geschieht. In den skurril geformten, zapfenartigen, pink-orange-roten Gewächsen der Magnolie, aus denen im reifen Zustand die Samen hervortreten, steckt für Elisabeth Eberle die pure Essenz, das pralle Leben. Die Früchte, jede für sich formal einzigartig in ihren Verwachsungen, werden gesammelt, getrocknet oder tiefgefroren, gehortet, analysiert, katalogisiert und erforscht, präzise und akribisch, wie wissenschaftliche Präparate, in allen Stadien der Transformation fotografiert, gezeichnet, eingescannt und digital dreidimensional erfasst. Das so entstandene digitale Herbarium bildet als 3D-Datenbank die Basis für die ebenfalls digital gefrästen Holzskulpturen. Aus Eichenholz, Schicht für Schicht aufgebaut, die Jahresringe erkennbar, entsteht eine bizarre Topografie. In der vielfachen Vergrößerung gewinnen die knolligen Bodenobjekte, die wie freigelegte archäologische Fundstücke wirken und mit der Bedeutung des Raumes interagieren, an physischer Präsenz, erinnern an geheimnisvolle, unheimliche Wesen, an deformierte Gebilde wie aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit.

Überzug aus Graphit

„Die Werke sind ein pflanzlicher Rorschach-Test“, sagt Elisabeth Eberle. „Die Reaktionen und Interpretationen fallen sehr unterschiedlich aus.“ Das im Museumskontext übliche „Bitte nicht berühren“ hat als Arbeits- und Ausstellungstitel einen tieferen Sinn. Nicht nur, dass man sich an den metallisch schimmernden Oberflächen, die von einem Überzug aus Graphitstaub herrühren, die Hände richtig schmutzig machen würde. Im übertragenen Sinn kann „Noli me tangere“, als Motto, das nebenbei noch perfekt in den Kirchenraum passt, auch als Appell verstanden werden, die Dinge aus der Natur, so skurril oder verführerisch sie auch scheinen mögen, unangetastet zu lassen. Obschon sich Elisabeth Eberle diesbezüglich keine Illusionen macht: „Unser idealisiertes Naturverständnis ist eine Illusion.“

Berühren erlaubt und erwünscht heißt es, allenfalls nach kurzem Zögern, hingegen in der Installation in der Sakristei, wo in einer Art Mobile an biegsamen Bambusruten kleine Latex-Objekte baumeln, die scharfe Schatten an die Wand werfen. Die Formen, die etwas unverhohlen Anatomisches haben, wie kleine Wesen, Fetische oder verkohlte Organe aussehen und damit unwillkürlich auch einen Bezug zum eigenen Körper herstellen, lösen Unbehagen und Faszination zugleich aus und bei aller wippenden Leichtigkeit transportiert das Werk auch etwas Leidendes. AG

Zur Person

Elisabeth Eberle

Geboren 1963 in Vancouver, Kanada

Ausbildung naturwissenschaftliches Studium an der ETH Zürich, seit 1981 Beschäftigung mit verschiedenen Druck- und digitalen Techniken

Laufbahn Ausstellungen u.a. in Zürich, Madrid, New York

Auszeichnungen Stipendium Cité des Arts in Paris, Gewinnerin des Wettbewerbs Art in Embassies mit Ausstellung in der US-Botschaft in Bern

Wohnort Zürich

Die Ausstellung wird heute, Freitag, den 20.Oktober, um 20 Uhr in der Johanniterkirche, Marktgasse, in Feldkirch eröffnet. Geöffnet bis 23.Dezember, Di bis Fr, 10 bis 12 und 15 bis 18 Uhr, Sa, 10 bis 14 Uhr.