Kleists “Zerbrochner Krug” mit kafkaeskem Touch

Kultur / 27.10.2017 • 18:34 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

ZÜRICH Das unterkühlt-experimentelle Bühnenbild von Muriel Gerstner und ein splitterfasernackter Dorfrichter Adam schälen sich aus dem Dunkel, und die allerersten Blankverse werden gesprochen. Da könnte man noch denken: Wenn die Regisseurin Barbara Frey diesem Stück nur nicht zu viele Bleigewichte anhängt! Aber die Zweifel sind auch gleich wieder verflogen, denn der Abend saugt einen schnell hinein in den ungemein pointenreichen und zugleich in Abgründe der Menschenseele hinab lotenden Einakter „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist.

Wortakrobatik

Das Stück handelt davon, wie Dorfrichter Adam über eine Tat zu Gericht sitzen muss, von der er genau weiß, dass er sie am Abend zuvor selbst begangen hat. Der Sünder hat der jungen Eve vorgelogen, ihr Verlobter Ruprecht sei für den Ostindienkrieg aufgeboten und er, Adam, könne Ruprecht durch ein Attest vor der Gefahr bewahren – falls sie ihm erotisch gefügig sei. Auf seiner Flucht vor dem plötzlich auftauchenden Verlobten hat Adam den Krug von Marthe Krull, Evchens Mutter, zerbrochen und ist übel verwundet worden. Markus Scheumann in der Hauptrolle ist ganz wunderbar in der Wortakrobatik, die der Übeltäter zum Versuch seiner eigenen Rettung aufbietet, und macht für uns mit subtilster Mimik sowohl dessen Vorahnungen vom bitteren Ende wie auch Hoffnungsschimmer sichtbar.

Michael Tregor gibt einen perfekt aasigen Schreiber Licht, Friederike Wagner eine glaubhaft empörte Marthe und Lisa-Katrina Mayer eine mutige Eve. Weshalb genau hat Barbara Frey aus dem Ruprecht eine Hosenrolle gemacht und, umgekehrt, ein vor allem von Christoph Marthaler her bekanntes männliches Schauspieler-Original für die Zeugin Frau Brigitte aufgeboten? Wie auch immer: Inga Busch legt neben burschikosen Elementen Ruprechts sensible Seiten frei, und Graham F. Valentine macht aus seiner Nebenrolle eine um Falsettgesang angereicherte kleine Groteske

Apropos Groteske: Die Stärke des in den Kostümen an die Gegenwart herangezoomten Abends ist es, dass zwar die Lustspielkonventionen eingelöst werden, dass aber auch die Modernität dieses analytischen Dramas kenntlich gemacht wird. Kleist war ein Lieblingsautor von Franz Kafka. Und wenn das Grüppchen derer, die zur Verhandlung antreten, in einer der aneinandergereihten Kammern herangefahren wird, finden Frey und ihr Team Bilder dafür, wie Kleist uns immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht. tb

Nächste Aufführungen am 3., 8. und 13. November: www.schauspielhaus.ch