So verschlug es mich damals nach Rom

Kultur / 27.10.2017 • 23:01 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
So verschlug es mich damals nach Rom

Sehr geehrter Herr, das Ihnen vorliegende Manuskript war über vierzig Jahre lang in meinem Besitz. Ich schicke es nun Ihnen, mit der Hoffnung, dass Sie zu Ende bringen, wozu ich nicht imstande war. Es war im Sommer 63. Ich war der Lieblingsschüler des Spirituals Nikolaus des Priesterseminars Graz, in das ich vor vier Jahren eingetreten war, und da ich das Italienische gut beherrschte, empfahl mir der Spiritual, mein letztes Studienjahr im Ausland zu verbringen.

Pater Benedikt, der jeden Ersten im Monat im Seminar übernachtete, nahm uns in seinem alten klapprigen Fiat mit nach Wien. Er war ein fußballfanatischer Mönch, der schon manchem Priesteranwärter durch sein hartes Reinsteigen im Spiel einen Aufenthalt im Grazer LKH eingebracht hatte.

In meiner jugendlichen Ungeduld konnte ich es kaum noch erwarten, die Weihe zum Priester zu erlangen und anderen den Weg weisen zu können, der auch mir gezeigt worden war. Ich war voller Tatendrang, und die bevorstehende Reise nach Rom mit meinem Freund und Mentor, dem Spiritual, war der Höhepunkt meines bisherigen Studiums, wollte mich der Spiritual doch seinem Freund Johann, dem Archivar des Priesterkollegs von Santa Maria dell‘Anima vorstellen. Er sollte beim dortigen Rektor für mich fürsprechen. In Wien angelangt, brachte uns Pater Benedict zum Westbahnhof und wir nahmen den Nachtzug nach Rom. Trotzdem ich aufgeregt war wie ein Kind am Weihnachtsabend, schlief ich wie ein Baby und erwachte erst, als mich der Spiritual Nikolaus mehrmals an der Schulter rüttelte. Er lächelte mich an und reichte mir einen Becher Kaffee und eine Semmel. Als ich mit dem Frühstück fertig war, fuhr der Zug gerade in den römischen Bahnhof ein.

Wir hielten uns dort nicht lange auf. Der Spiritual hastete quer über die Piazza Navona und dann am Pantheon vorbei. Er führte mich zielsicher durch die engen Gassen und Straßen Roms, und nach einem vierzigminütigen Marsch erreichten wir das Priesterkolleg. Wir hatten wenig Gepäck dabei, nur das Nötigste, was ein Priester so auf Reisen bei sich hat. Das Gehen tat gut nach der langen Nacht.

Es war bereits um die Mittagsstunde. Wir hatten ein Zimmer zugewiesen bekommen und richteten uns häuslich ein. Dann folgte ich dem Spiritual in den großen Saal und wir nahmen das Mittagsmahl zu uns. Ich hörte viele bekannte Namen und lernte endlich die Gesichter dazu kennen. Wir trafen auch den Archivar Johann und verabredeten uns für den Nachmittag. Er wollte uns durch die Bibliothek führen.

So verschlug es mich damals nach Rom, eine Stadt, die ich liebgewonnen habe. Es war dann der Zufall, der mich während meines Studienjahres dort auf die Schriften von Alois Hudal stießen ließ, eines ehemaligen Rektors des Kollegs und Titularbischof von Aela, der eben erst im Mai des Jahres 63 verstorben war. Ich beschäftigte mich im Stillen eingehend mit seiner Person, obwohl dies im Seminar nicht erwünscht war. Gerade deswegen ließ die Neugierde nicht locker, und da der Archivar Johann einen Narren an mir gefressen hatte, fiel es mir nicht schwer, Zugang zu Hudals Memoiren zu bekommen.

Die finstere Gestalt des Bischofs und seine Verbindung zum NS-Regime ließen mich nicht mehr los. Man sagte ihm nach, mit dem Franziskanerpriester Krunoslav Draganović die sogenannten Klosterrouten oder Rattenlinien organisiert zu haben und somit vielen NS-Verbrechern über Südtirol nach Rom und dann weiter nach Argentinien oder in die arabischen Staaten zur Flucht verholfen zu haben. Auch der Vatikan wusste in seinen obersten Reihen über Hudals Unterfangen Bescheid. Denn zur Zeit des kalten Kriegs nutzte sogar die CIA vorübergehend die Rattenlinien. Dieser Dienst wurde vom Vatikan sicher nicht nur aus Nächstenliebe angeboten. Bei meinen weiteren Forschungen stieß ich auch noch auf eine Beteiligung des Roten Kreuzes und der Caritas. Die Kirche steckte bis zum Hals in Angelegenheiten, in der sie von Anbeginn falsch Partei ergriffen hatte. Meine Ergebnisse erschreckten mich zutiefst und ich geriet sogar in Zorn. Ich fühlte mich all meiner Hoffnungen beraubt, fühlte mich hintergangen von der Institution, in die ich blind und mit all meinem Vertrauen eingetreten war. Ratlos, verzweifelt und von den Eignen betrogen ließ ich nicht locker und durchforstete das ganze Archiv nach weiteren Schriften über Hudal. Ich hoffte, auf etwas zu stoßen, worin sich ein Sinn in seinem Handeln erkennen ließ. Ich hatte mir vorgenommen, dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte ans Tageslicht zu bringen. Koste es, was es wolle. Johann pflegte Hudal inzwischen den „braunen Bischof“ zu nennen, und wenn er mich vertieft in eines dieser Manuskripte erwischte, schüttelte er nur besorgt den Kopf. Er ließ mich aber gewähren, ansonsten hätte ich im Nachlass Hudals nie die Abschrift eines Berichtes aus dem Jahre 39 gefunden. Verfasst wurde das Manuskript von einem Kriminalinspektor aus Wien. Als ich dieses entsetzliche Werk las, wusste ich nicht wirklich etwas damit anzufangen. Ich war verwirrt und verstört und suchte Rat bei einem der geistlichen Seelsorger, der mich zu seiner Schande an das Rektorat verriet. Der Rektor war entrüstet über das, was ich ans Licht gebracht hatte und er gebot mir Stillschweigen darüber. Außerdem verbot er mir, meine Forschungen fortzusetzen und verlangte die Herausgabe des besagten Manuskripts. Ich wollte nicht kampflos aufgeben, musste aber bald feststellen, in welch mächtigen und gefährlichen Bund ich eingetreten war und unter Androhung der Exkommunikation musste ich Santa Maria dell‘Anima verlassen.

Ich war damals naiv, aber nicht dumm gewesen, und da ich eine Abschrift angefertigt hatte, gab ich mich scheinbar geschlagen und kehrte nach Graz ins Seminar zurück. um die Priesterweihe entgegen zu nehmen. Nachdem 2006 das Hudal-Archiv endlich geöffnet wurde, aber das Manuskript des Kriminalinspektors unauffindbar war, habe ich mich entschlossen, es Ihnen zukommen zu lassen.

Anmerkung: Es handelt sich bei obrigem Text um einen Auszug aus dem Roman, an dem Thomas Welte arbeitet. Die Veröffentlichung ist in rund zwei Jahren geplant.

Zur Person

Thomas Welte

Geboren 1979 in Feldkirch

Tätigkeit Schriftsteller und Leiter des Theaters „Shakespeare am Berg“ in Bludenz

Werke Theaterstück „Chaos Panik Hysterie“ und „Das Verhör“, Kurzfilme und Dokumentarfilm „’s Ländle – schöne heile Welt“, Roman „Der gläserne Diamant“

Die Uraufführung des Dramas „Tanz mit dem Tod“ findet am 2. November, 20 Uhr im Kosmodrom des Theaters Kosmos statt