Porno und Krieg als Vater aller Dinge

Zeppelin Museum präsentiert virtuelle Realität und legt interessante Zusammenhänge offen.
Friedrichshafen Bei der Verschränkung von virtuellen und realen Welten im privaten Bereich denkt man in erster Linie wohl an Spiele, in denen es um Reaktionsfähigkeit geht. Die martialischen Aspekte solcher Programme, die darauf abzielen, möglichst viele Gegner effizient aus dem Weg zu räumen, entfachen zurecht Diskussionen. Während die Produktion von Kriegsspielen für PCs oder VR-Brillen munter weitergeht, schafft die öffentliche Infragestellung aber zumindest ein Bewusstsein dafür, wo es längst nicht mehr um die Schulung der Schnelligkeit, den Spaß oder die Erlebnisoptimierung geht, sondern wo sich Problemfelder auftun. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der private Virtual-Reality-Markt zudem von ganz anderen Bewegungen befeuert wird. Dass die Pornoindustrie einer der größten Innovationsmotoren für VR-Technologien mit einem stark wachsenden Absatzmarkt ist, diese Tatsache hält man nun auch im Zeppelin-Museum in Friedrichshafen fest.
Im Haus, das aufgrund seiner Sammlungen mit Objekten aus der Zeppelin-, Flugzeug- und Autoindustrie sowie mit Gemälden und Zeichnungen aus verschiedenen Jahrhunderten der Technik und der Kunst gewidmet ist, gilt es nun ab dem heutigen 11. November an sich in logischer Folge auch den „schönen neuen Welten“. Unter diesem Titel wurde ein Parcours errichtet, der zwar recht nostalgisch beginnt, aber rasch Fahrt aufnimmt. Interessant ist es ja durchaus, sich daran zu erinnern, dass es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich war, mit einfachen Mitteln dreidimensionales Anschauungsmaterial zu erzeugen. Vor Innen- und Außenansichten von Zeppelinen gespannte Brillen fanden als Souvenirs reichlich Absatz und noch heute fasziniert ein solcher Blick auf und in die Flugschiffe, die einst am Bodensee erzeugt wurden.
Die Untersuchung des Konzeptes posthumaner Sexualität durch Sidsel Meineche Hansen konnten heuer auch Besucher der Biennale Venedig miterleben. In Friedrichshafen allerdings ist – wie überall an den Stationen – das Tragen der VR-Brille notwendig, die im Übrigen Ernüchterndes zutage fördert, wenn ein Transgender-Avatar mit einer digital animierten Skulptur Sex hat. Kuratorin Ina Neddermeyer geht es dabei auch um den Aspekt des Voyeurismus, begibt sich der Betrachter, der dabei in den Sitzsack sinkt, doch in das Blickfeld der anderen Besucher.
Konkrete Erkenntnisse
Inwieweit „virtuelle Realitäten in der zeitgenössischen Kunst“, so der Untertitel der Schau, konkrete Erkenntnisse generieren, hat Harun Farocki schon vor Jahren vorgemacht. Mehrere Arbeiten, von denen einige auch im Kunsthaus Bregenz zu sehen waren, vermitteln anschaulich die Rolle der Virtual Realität in der Kriegsführung wie in der Traumatherapie von Soldaten. Ähnliche Themenfelder umreißen die Forensic Architectures, die aus Erinnerungen von Überlebenden eines syrischen Gefängnisses, von dem es keine Bilder gibt, Zellen und die Art der Foltereinrichtungen simulieren. Durch die virtuellen Bilder wird die Dokumentation von Verbrechen erleichtert.
Identität
Gesellschaftspolitische Fragen stellt auch Micha Cárdenas, die mit „Becoming Dragon“ nicht nur ein Transgender-Thema aufgreift, ermöglichte ihr das längere Tragen einer VR-Brille doch, die Identität zu wechseln und in einer virtuellen Infrastruktur zu agieren. Was wie ein Experiment erscheint, erhält weitere Relevanz, wenn die Künstlerin zu bedenken gibt, dass es vorgeschrieben ist, sich vor einer gewünschten operativen Geschlechtsumwandlung eine Zeitlang in der neuen Lebensrealität erprobt zu haben.
Mit der Überlagerung von digitalen und analogen Bildräumen beschäftigt sich Florian Meisenberg, der die VR-Brillen-Träger auffordert, aktiv zu werden und mit bloßen Händen Objekte zu verformen. Als ebenso ausgereift und vielschichtig erweist sich die Installation des Duos Banz/Bowinkel, während der Flug auf dem Mars von Halil Altindere fast nur Spielerei wäre, hätte er nicht den grausam-zynischen Hintergrund, damit Flüchtlinge loszuwerden. Und auch weitere Arbeiten konfrontieren virtuell mit der Realität, denn Kunst fordert heraus.

Die Ausstellung ist im Zeppelin Museum in Friedrichshafen bis 8. April, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, geöffnet. Umfangreiches Rahmenprogramm: www.zeppelin-museum.de