Stadtstreicherin auf dem Pfad der Erinnerung

Videoarbeiten, Zeichnungen und Objekte von Hanna Schaich in der Galerie Hollenstein.
Lustenau Uhren dieser Art findet man normalerweise in Transiträumen vor. Am Beginn der Ausstellung von Hanna Schaich in der Galerie Hollenstein machen sie ein verlockendes Angebot. Denn eine der beiden Uhren läuft rückwärts. Kann man die Zeit zurückdrehen? Nein, kann man nicht. Man kann sie nicht einmal anhalten, was man in dieser zutiefst berührenden Ausstellung gerne machen würde. Aber vielleicht kann man die Zeit zumindest für eine Weile vergessen und sich mit Hanna Schaich auf eine Reise begeben. „A walk down memory line“ versammelt Videoarbeiten, Zeichnungen und Objekte der aus Bregenz stammenden Künstlerin und gibt Einblick in ein konsequent und auf hohem internationalem Niveau entwickeltes filmisches Werk. Die Ausstellung ist die erste Einzelausstellung von Hanna Schaich in ihrer Vorarlberger Heimat, die Künstlerin greift dafür auf persönlich und familiär konnotierte Objekte zurück.
Ihre Arbeiten sind von ihrer ureigenen, subjektiven Weltsicht geprägt und haben doch universellen Anspruch. Über die Auseinandersetzung mit ihrem Ich tritt Schaich in einen Dialog mit der Außenwelt, den sie mit Bildern und Menschen, die sie getroffen hat, unterlegt. Im Wechsel in Berlin und New York lebend, outet sich die Künstlerin als Stadtstreicherin und genaue Beobachterin. Alles was Schaich macht, ist mit ihrer Person, ihrem Erleben, ihren Sehnsüchten und ihrem Körper verknüpft.
Heimat
„Sich für das Stille zu öffnen, das Laute, das Extreme, das Verwundbare und das scheinbar Unscheinbare – darum geht es.“ Diesen Satz schickt die Künstlerin ihrer Ausstellung voran, bevor sie sich mit einem Ausschnitt aus der Reihe „500 Hannas“ ausbreitet. Auf 500 Businesskarten, verteilt und für jede Karte im Gegenzug etwas zurück „gefordert“ setzt sie Fotos, Menschen, Musik und Städte in Beziehung zueinander. Ein Stück Heimat verkörpert dagegen die frisch geschnittene Linde vom Pfänder, dem Haus- und Heimwehberg von Hanna Schaich. Balance, Erinnerung, die den Blick verändernde Perspektive aus der Höhe, das Organische im Kunstraum – die Baumstämme lassen viele Assoziationen zu. „Evelyn“, eine ältere Dame beim Aquajoggen im Bregenzer Strandbad, Videoarbeiten, die Schaich in Detroit und Berlin gedreht hat, immer allein mit der Kamera unterwegs und deswegen ganz nah an den Menschen, Zeichnungen, die von Besuchen in einem New Yorker Labor inspiriert sind, wo über posttraumatische Erinnerungen und den Zusammenhang von Angst und Gedächtnis geforscht wird, der zunehmende Verlust des Bezugs zum Körper – Hanna Schaichs Themen sind die Fragen unserer Zeit. Diese versteht sie in großartige, verführerische Bilder und Töne voller Melancholie und Poesie zu betten. Unter Wasser, in einem mythenumrankten Wald in Japan, auf den nächtlichen Straßen von Detroit oder beim Basejumping in Berlin packt die Künstlerin Glück und Beklemmung in Bilder und Filme, aus denen man so schnell nicht wieder auftauchen möchte. AG
Geöffnet in der Galerie Hollenstein, Pontenstraße 20, in Lustenau, bis 10. Dezember, Fr, Sa, So, Feiertag, 15 bis 19 Uhr. 12. November, 11 Uhr, Vortrag von Birgit Severin (Künstlerin und Psychologin, Berlin).