Festival widmet sich Neuer Musik aus erster Hand

Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik zeigten zum Start klare Handschriften.
BLUDENZ Weit ist der Weg nach Bludenz, das abseits der großen Kulturströme des Landes liegt. Aber er zahlt sich vor allem dann aus, wenn es dort jährlich um diese Zeit die Tage zeitgemäßer Musik (btzm) zu erleben gibt. Eine Einrichtung, die sich ebenso bewusst wie konsequent den aktuellsten internationalen Strömungen mit Neuer Musik aus erster Hand widmet, und in der heimisches Schaffen auf diesem Gebiet nur marginal Platz findet. Dafür gibt es andere Festivals im Land.
Viertägiges Programm
Bludenz aber hält sich seit fast 30 Jahren strikt an seine selbstgeschriebenen Normen und hat damit zur Eröffnung der Saison am Donnerstag in der Remise auch momentan einen seiner Schwachpunkte beheben können, nämlich das mangelnde Publikumsinteresse. Sehr zur Erleichterung des mit Leib und Seele für diese Sache eintretenden Obmanns des veranstaltenden Vereins „allerArt“, Wolfgang Maurer, und der quicken italienischen Intendantin Clara Iannotta, die inzwischen schon so viel Deutsch kann, dass sie ihre Eröffnungsrede vom Smartphone abliest. Vor allem aber, und das ist wohl das Wichtigste, strotzt sie nur so vor Kompetenz und Kompromisslosigkeit, die ihr bei der Auswahl aus dem großen Angebot von Spezialensembles und Komponisten für ihr viertägiges Programm große Sicherheit geben und sie vor Missgriffen bewahren.
In ihrem vierten Jahr kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass hier Spezialisten für Neue Musik am Werk sind, die auch etwas zu sagen haben, wie zum Start das vierköpfige israelisch-österreichische Ensemble Nikel. Patrick Stadler, Saxophone, Yaron Deutsch, E-Gitarre, Antoine Francoise, Piano, und Brian Archinal, Percussion, erweisen sich als ausgewiesene Könner in der Beherrschung einer Kunst, die nach landläufigen Begriffen weit mehr mit Geräuschen als mit herkömmlichen Tönen umgeht. Sie handhaben exzellent ihre Instrumente und verstehen es auch, jedem der vier sehr unterschiedlichen Werke mit ihren Klangcollagen das besondere Flair zu verleihen. Dies geschieht alles nach exakt notierten Vorgaben, in denen kaum Platz bleibt für spontane Improvisation, und erreicht damit offensichtlich auch die konzentriert mitgehenden Zuhörer.
Vielfältige Klangerzeuger
Am Beginn steht ein Werk der irischen Komponistin Ann Cleare, „The square of yellow light that is your window“, bei der Klangobjekte wie ein Washboard mit Fingerhüten zu musikalisch faszinierend vielfältigen Klangerzeugern werden. Die übrigen Instrumente sind in mikrotonaler Sprache ins Geschehen eingebettet. Dabei überrascht die enorme rhythmische Präzision, mit der die Musiker dieses Werk umsetzen. Der deutsche Komponist Enno Poppe (48) ist heute ein gefragter Name in der Szene. In der Uraufführung seines Kompositionsauftrags „Fleisch“ für die btzm verbindet er Elemente herkömmlicher Musik wie die formale Dreisätzigkeit oder die Dreistimmigkeit von Synthesizer, Saxophon und Gitarre mit dem weiten Spektrum experimenteller Tongebung. Große Wirkung erreicht Poppe auch durch den Kontrast zwischen den Ecksätzen, bei denen Nikel wie eine Rockband auf Abwegen klingt, und einem lyrisch soften Mittelteil.
Sogar in der Neuen Musik gibt es Stücke, die altmodisch klingen, wie das Werk „101 % mind uploading“, auch wenn es von der jüngsten Komponistin des Abends stammt, Elena Rykova (26), vielleicht, weil in ihrer Heimat Russland die Uhren noch anders gehen. Es lebt von den Resonanztönen eines präparierten offenen Flügels und damit einer Technik, die man in dieser Form lange kennt und die sich rasch erschöpft. Das eindrucksvollste Werk des Abends mit bleibenden Eindrücken ist ein Auftragswerk des Ensembles Nikel an den namhaften steirischen Komponisten Klaus Lang (46).
Sein Motto „Musik ist hörbar gemachte Zeit“ setzt er auf wunderbare Weise in „Bright darkness“ um. Eine knappe halbe Stunde lang lassen die Musiker in dem nur von vier Notenpulten beleuchteten Raum einen fast meditativen Klangteppich erstehen, der von verschiedenartig gefärbten Tremoli und von mikrotonalen Schwebungen kleiner Motive auf Synthesizer und Glockenspiel belebt wird. Ein faszinierender Eindruck, allein dessentwegen sich die weite Fahrt nach Bludenz gelohnt hat.
Weitere Konzerte der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik in der Remise: 18. November, 20 Uhr: Distractfold Ensemble; 19. November, 17 Uhr; Séverine Ballon, Violoncello
Hörfunkwiedergabe: 11. Dezember, 23.03 Uhr, „Zeit-Ton“ Ö1