Mit symphonischem Jazz auf neuen Pfaden

Das Projekt „SOV meets JOV“ wurde zum mitreißend gelungenen Experiment.
FELDKIRCH Erstmals in seiner über 30-jährigen Geschichte wagte sich das Symphonieorchester Vorarlberg beim 3. Abo-Konzert im Montforthaus an ein Großprojekt mit sogenanntem symphonischen Jazz und holte sich dafür unter dem Motto „SOV meets JOV“ das Jazzorchester Vorarlberg ins Boot. Gemeinsam erteilten sie dem Südtiroler Gerd Hermann Ortler (34) einen Kompositionsauftrag, dessen Einlösung tradierte Grenzen aufbrach, in genreübergreifende Klangwelten vorstieß und zu einem umwerfenden Musikevent wurde. Zeitgleich präsentierte das SOV als Einspringer für den erkrankten Gérard Korsten den indonesischen Dirigenten Adrian Prabava (46), der sich mit diesem Debüt auf Anhieb in die Galerie möglicher Nachfolger für den bald vakanten Chefposten beim SOV katapultierte.
Doch dieser Abend mit seinen zwei konträren Hälften beginnt zunächst ganz seriös, mit Schuberts Symphonie Nr. 4, der „Tragischen“. Für das SOV ist das längst ein Repertoirestück. Für Adrian Prabava offenbar auch, denn er dirigiert das Werk auswendig. Mit seiner klassisch eleganten, unaufgeregten „Alten Schule“ des Dirigierens beruft er sich auf seine prominenten Mentoren Kurt Masur und Bernard Haitink. Schubert siedelt er in Beethoven-Nähe an, auffällig die Schönheit der Streicher im innigen zweiten Satz. Prabava zeigt Temperament, strahlt dennoch große Ruhe aus und erreicht mit viel weniger Körpereinsatz als andere ein Maximum an Präzision und Ausdruck im Orchester. Martin Eberle, 2005 Gründer und Chef seines erfolgreichen Jazzorchesters Vorarlberg, hatte die Idee zur Fusion der beiden Klangkörper und stieß bei SOV-Geschäftsführer Thomas Heißbauer auf offene Ohren. Sinfonischer Jazz sollte es werden, der seine Wurzeln bei Gershwins swingender „Rhapsody in Blue“ hat. Doch der als Komponist und Arrangeur international gefragte Ortler, der sich als eine Art Wunderwuzzi schon bisher in vielen Bereichen als sattelfest erwiesen hat, geht so etwas heute völlig anders an. Der Swing als einstiges Allheilmittel kommt bei ihm nur noch marginal vor, dafür dominieren, nach einer kakophonischen Schrecksekunde für die Zuhörer am Beginn, in unglaublicher Stilvielfalt geschärfte klassische Symphonik in der Manier von Hollywood-Movies, Elemente aktuellster Neuer Musik und verschiedene Jazzidiome wie Bebop, Pop, Funk und Latin, als flächendeckende Klangcollage kunstvoll ineinander verwoben.
Charles Bukowski als Vorlage
Für die Uraufführung seines Stücks „And the moon and the stars and the world“ hat Ortler ein Gedicht des US-amerikanischen Poeten Charles Bukowski von langen Spaziergängen in der Nacht, die gut für die Seele sind zur Vorlage genommen und erzählt damit eine sehr ausführliche, aber niemals langweilige Geschichte. Genau eine Stunde dauert sein dreisätziges Werk, eine allein handwerklich unglaubliche Leistung, ganz abgesehen von seinen Einfällen, die so dicht auf den Zuhörer prasseln, dass man sich anfangs schwer tut, die Übersicht zu wahren. In überschäumender Fantasie und brillanter Instrumentierung lässt Ortler die einzelnen Register gegeneinander auffahren, generiert fetzig kompakte Bläserattacken und orchestrale Steigerungen, aus denen sich auf softem Streicherteppich immer wieder tolle Solisten der mit heimischen Topleuten besetzten Band herausschälen: Martin Eberle, Trompete, Benny Omerzell mit perkussivem Hammond-Sound, Herbert Walser, Horn, und Andreas Broger, Tenorsaxophon.
Die Musiker beider Sektionen sind motiviert, diesen ungewohnten Erfordernissen Rechnung zu tragen, und bringen auch ideale Voraussetzungen dafür mit. Das SOV profitiert davon, dass manche in seinen Reihen, angefangen vom exzellenten Konzertmeister Pawel Zalejski, regelmäßig zeitgenössische Musik und Jazz spielen, die Jazzer dagegen verfügen auch über eine klassisch fundierte Musikausbildung. Sogar der sich so seriös gebende Dirigent swingt hier bei Bedarf mit, wahrt in dieser umfangreichen Partitur jeden Moment die Übersicht und ist stets Herr der Lage, bei 75 Musikern kein Klacks. Als zuletzt noch der Komponist auf die Bühne kommt, kennt der Jubel keine Grenzen. Ein Meilenstein für beide Orchester.
Hörfunkwiedergabe: 11. Dezember, 21 Uhr, Radio Vorarlberg. Nächstes Abo-Konzert des SOV: 13. Jänner, Montforthaus Feldkirch, 14. Jänner, Festspielhaus Bregenz, Solist: Kian Soltani, Violoncello, Dirigent: Leo McFall (Britten, Elgar Prokofieff).