Denkanstößiges von Karl-Markus Gauß

Reden, Essays Im Herbst beeindruckte er mit seiner Eröffnungsrede der Buch Wien, in der er die Bücherei der Schweizer Gemeinde Renens, in der Bücher „in sagenhaften 280 Sprachen“ bereitgehalten werden, zum Ausgangspunkt einer pointierten Tour d‘Horizon der politischen Lage nahm. „Die Bibliothekarinnen von Renens“ heißt nun ein Band, in dem diese und 16 weitere Reden von Karl-Markus Gauß enthalten sind.
Er habe bereits als Kind versucht, sich seinen Platz in der Gemeinschaft redend zu erobern und konnte bald darauf vertrauen, dass es ihm tatsächlich nie die Rede verschlagen werde, führt Gauß in seinen Vorbemerkungen aus. Es gehe ihm nicht darum, andere zu überreden, aber doch komme Reden eine Sonderstellung zu: Zum einen seien sie, in Konzentration und Stille verfasst, Teil seines literarischen Werks, anderseits halte er ihren öffentlichen Vortrag „für eine Art von staatsbürgerlichem Wirken“. Tatsächlich erfüllen die Reden beide Aufgaben.
Zum internationalen Tag der Roma beschreibt er die Volksgruppe, die „immer schon ihre Identität zu behaupten gewusst und dabei doch über nationale und staatliche Grenzen hinaus gelebt“ hat, als „die ersten Europäer von morgen“. Bei der Verleihung des österreichischen Kunstpreises stellt er Überlegungen darüber an, wie dessen Dotierung mit 12.000 Euro einzuschätzen ist – nämlich etwa als Äquivalent fast eines Jahresgehalts einer Supermarktkassiererin oder einer halben Monatspension eines Nationalbankvorstands. Seinen Verweisen, Bezügen und Anstößen zu folgen, ist sowohl unterhaltsam als auch bereichernd.
„Die Bibliothekarinnen von Renens – Reden“, Karl-Markus Gauß, Otto Müller Verlag, 176 Seiten.