Großartig getanzt, plakativ erdacht

Festival Bregenzer Frühling begibt sich mit Helena Waldmann an eine Grenzlinie.
Bregenz Bilder von Landnahmen zählen zu jenen, die sich im kollektiven Gedächtnis verankert haben. Wir kennen das Sujet von Streitkräften, die gemeinsam den Mast mit der Flagge des eigenen Landes im bislang fremden Boden befestigen. Die Produktion der in Berlin lebenden Choreografin Helena Waldmann, die das Festival Bregenzer Frühling am Samstagabend im Festspielhaus fortsetzte, begann mit einer solchen Szene. Der Mast kommt zwar umgehend, quasi zweckentfremdet für Pole-Dance-Darbietungen zum Einsatz, dennoch drängt sich angesichts der inflationär gewordenen Verwendung des Motivs sowie des Titels „Good Passports Bad Passports“ und dem Wissen, dass das im Jahr 2017 uraufgeführte Stück auch Abgrenzungen bzw. den erstarkten Nationalismus in Europa zum Thema hat, die Frage auf, ob man hier nicht allzu plakativ verfährt.
Im weiteren Verlauf der kaum einstündigen Aufführung erhärtet sich derlei Skepsis. Freilich behandelt Waldmann ein hoch aktuelles Thema, greift sie in Wunden, wenn über kurze sprachliche Einschübe zu Fragen nach Herkunft, Leumund, Nationalität und finanzieller Potenz von Einzelpersonen sowie durch die Bildung einer Wand und Interaktionen, für die etwa zwei Dutzend Laiendarsteller aus der Region engagiert wurden, politische bzw. gesellschaftspolitische Situationen erklärt werden, die man vor einigen Jahren noch als endlich überholt erachtete.
Nahe der Kommerzschiene
Die künstlerische Qualität einer Produktion ist allerdings daran zu messen, inwieweit es gelingt, die Komplexität des Themas in ein Konzept zu übertragen. Diesbezüglich enttäuscht „Good Passports Bad Passports“ mit fast schon banaler Einsilbigkeit. Wenn dann auch noch Motive aus Wagners „Tannhäuser“ mit Pop-Hymnen (USA for Africa) kombiniert werden, wähnt man sich auf der Kommerzschiene, wo der Aufeinanderprall von Klassik oder Klassischer Moderne und Breakdance bzw. Tanzakrobatik längst schon finanziell ertragreich zelebriert wird.
Die solistischen Leistungen an sich, sei es auf der Seite der Akrobaten oder auf der Seite der Tänzer, sind fraglos allesamt allererste Sahne und auch die kurze Replik auf Yvonne Rainer bestätigt das hohe Ausdrucksniveau der Künstler. Generell steht der Bregenzer Frühling nun aber wohl mit einer Produktion, die mehrere süddeutsche Bühnen gemeinsam verwirklichten und die unweit von Bregenz längst gezeigt wurde, an der Grenzlinie zum Qualitätsabfall.
Als weniger politisch angehaucht, sondern vielmehr wissenschaftliche Fragen aufgreifend, erweisen sich weitere Produktionen des Festivals, das noch Auftritte des Ensembles von Wayne McGregor oder der britischen Gruppierung Motionhouse sowie eine Kooperation mit dem Kunsthaus Bregenz vorsieht. Ende Mai offeriert dann das Aktionstheater von Martin Gruber ein ganz anderes Thema, nämlich „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“, die wohl eine Selbstzerstörung ist.
Nächste Tanz-Aufführungen beim Bregenzer Frühling mit Silvia Salzmann ab 18. April, Wayne McGregor am 21. April und Motionhouse am 18. Mai.