Die Sekunde vor dem Fall

Julie Haywards Skulpturen sind im Bildraum Bodensee gelandet.
Bregenz Die Skulptur ist Julie Haywards Sache und doch beginnt bei der in England geborenen und in Salzburg lebenden Künstlerin alles mit der Zeichnung. Da versteht sie sich ganz als Konstrukteurin ihrer Kunst. Umso reizvoller ist es, dass im Bildraum Bodensee unter dem Titel „When things fall apart“ derzeit beides zusammenfindet: die Zeichnung und die Skulptur. Die Entwicklungslinien vom einen zum anderen zeigen sich dabei wohl am deutlichsten anhand der Skulptur „Let‘s dance“. Zwei schwarze, vorhangartige Körper, an Ringen fixiert und in den Raum hoch gehoben, stehen einander gegenüber. Sie scheinen die Tanzbewegungen Sekunden früher noch ausgeübt zu haben oder sind gerade im Begriff, zum Paartanz aufzubrechen. Aber Julie Hayward stoppt sie und friert den Moment ein. Und gibt ihren Betrachtern damit die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen der Szenerie genauer wahrzunehmen.
Was wäre nämlich, wenn die fixierenden Ringe nicht wären? Stünden die Tänzer immer noch aufrecht oder würden sie in sich zusammensacken und sich damit dem titelgebenden Auseinanderfallen annähern? Gleichzeitig ist da auch dieser Gegensatz zwischen der Leichtigkeit der Bewegung und der relativ brutalen Verschraubung, die in Form hält, was wehen will. Einen Blick weiter trifft man auf neun Zeichnungen Julie Haywards, die die Herkunft der raumfüllenden Skulptur nachzeichnen. Auch hier setzt das Spiel zwischen der Bewegung der zeichnenden Hand, die zur Linie wird, aus der sich eine in der Bewegung gestoppte Skulptur entwickelt, von Neuem an.
So lässt sich dieser Wechsel aus der Leichtigkeit und Flüchtigkeit einzelner Situationen hin zur Skulptur, die in der Bewegung einen Augenblick verharrt, von Werk zu Werk nachverfolgen. Sei es das dominante „Again and again“, das ein Fortschreiten in zäher Masse erstarren lässt und in seinem Pendeln zwischen Dynamik und Schwere auch an Sisyphos und sein endloses Vorankommen erinnert, oder sei es „Miss Needy“, deren geschäftiges Treiben in Behältern, die nur darauf warten, gefüllt zu werden, in Form gegossen wird.
Auch ein Balanceakt
Julie Haywards Arbeiten kippen an ihrer eigenen Achse. Rundes und Weiches wird plötzlich zäh und bleischwer. Genauso aber bricht scheinbar Stabiles augenblicklich in sich zusammen, wie die Skulpturengruppe „When things fall apart“ vorexerziert. Hier noch zeigt sie sich als ein durch Metallstreben stabiles Konstrukt, das sich nur wenige Meter weiter in puzzleartige Einzelteile zersplittert, die sich unentwirrbar ineinander verzahnen.
Worum es Julie Hayward dabei geht? Nun, eindeutigen Antworten gibt Hayward nicht. Aber natürlich geht es auch um den Moment, in dem ein als gesichert geglaubter Balancezustand aus dem Gleichgewicht gerät. Dass da Menschliches, Gesellschaftliches, Unterbewusstes dahintersteckt, lässt sich nicht verleugnen.
Mit Julie Hayward ist eine der unüberhörbaren Stimmen des aktuellen Kunstschaffens am Bodensee zu Gast. Gut so, ansonsten käme man ja um ein Vergnügen. vf
Geöffnet bis 16. Mai im Bildraum Bodensee, Di und Do, 13 bis 18 Uhr, Fr und Sa, 11 bis 16 Uhr, zu sehen: www.bildrecht.at