Chromosomenpaare, die fesseln

Englische Company Wayne McGregor fesselt beim Festival Bregenzer Frühling.
Bregenz Eine Fülle von Seh- und Hör-Eindrücken ist am Samstagabend auf die Besucher im vollen Festspielhaus eingestürmt. Was man bei Wayne McGregors Werk „Autobiography“ nicht erkennen kann, ist die Tatsache, dass keine Aufführung der anderen gleicht. McGregor erzählt nicht eine lineare Lebensgeschichte, sondern betrachtet das Leben als die Summe der im menschlichen Genom gespeicherten Erbanlagen, der individuellen Eindrücke und Erfahrungen und damit als Quelle unendlicher Möglichkeiten der Veränderung. Ausgehend von seinem Genom, das er hat entschlüsseln lassen, hat er mit seinen zehn Tänzern aus allen denkbaren Elementen eine „Life Library“ mit 23 „Bänden“ sprich Szenen erarbeitet, entsprechend den Chromosomenpaaren des Menschen. An vielen Schaltstellen des Lebens entscheidet sich die Zukunft, ob willentlich oder zufällig, immer ist Veränderung, Weiterentwicklung möglich. So nimmt auch die Choreografie bei jeder Aufführung einen anderen Lauf: Anfang und Ende sind festgelegt, welche Szenen dazwischen ablaufen und in welcher Reihenfolge, entscheidet ein Computer.
Auch ohne dieses Wissen lässt sich der Zuschauer hineinziehen in die Bilderfolge, die hinterfragt, was die Biografie ausmacht. Eingeblendete Stichwörter wie Natur, Erziehung, Welt, Traum, Abenteuer, Wahl oder (Un)Gleichgewicht sind Sehhilfen. Es hängen kopfüber metallische Pyramiden, leuchten in immer neuen Lichtstimmungen auf, senken sich herab, engen den Aktionsraum ein, weiten ihn wieder. Dazu treten Laser, die Flächen entwerfen und kreisen lassen – ärgerlich nur, dass sie zuletzt so in die Augen stechen, dass man sie schließen muss.
Faszinosum
Ein Faszinosum für sich ist die elektronische Musik von Jlin. Unaufdringlich arbeitet sie mit Geräuschen, mit Atem, mit Vogelstimmen, mit menschlichen Stimmen und Musik, mit einem Klangteppich, der selten aggressiv, dafür um so öfter suggestiv wirkt. Ein einzelner Mann eröffnet den Bewegungsreigen, lotet die Möglichkeiten des Körpers aus. Lichter wandern, während alle zehn auf die Bühne kommen – sechs Männer und vier Frauen, deren Kleidung die Geschlechter verwischt. Assoziationen stellen sich ein. Expressive Soli wechseln mit Gruppenbildern, in denen die einen zu Beobachtern werden, abseits stehen, andere in den Fokus rücken, Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau. Lyrische Impressionen wechseln mit gespenstischen, albtraumhaften Bildern. Und immer ist da die Bewunderung der tänzerischen, athletischen Kraft und der geschmeidigen Eleganz.

Nächste Aufführung beim Bregenzer Frühling mit Yui Kawaguchi am 28.April, 18 Uhr, im Kunsthaus Bregenz.