Eine geglückte „Müllerin“ und eine ausgeklügelte Wiener-Klassik-Abfolge

Bariton Rafael Fingerlos und Pianist Kit Armstrong boten Herausragendes.
Hohenems Dass jemand bei der Schubertiade mit dem Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ debütieren darf, kann als eine Art Ritterschlag durch Festivalchef Gerd Nachbauer gelten. Diese Ehre ist am Samstag dem erst 31-jährigen Salzburger Bariton Rafael Fingerlos widerfahren.
Niemand Geringerer als die auch in Hohenems unvergessene Edith Mathis hat Fingerlos in Wien ausgebildet. Wie sehr er trotz seiner Tätigkeit an der Staatsoper auch das Liedfach bereits in hohem Maße beherrscht und intensiv pflegt, beweist seine in vielfacher Hinsicht geglückte „Müllerin“. Als verliebter Müllerbursche besitzt er das oft ungestüme Draufgängertum der Jugend, bei dem man ihm gerne manches übertriebene Forcieren etwa in der „Ungeduld“ oder „Die böse Farbe“ verzeiht. Er ist in seiner Reife aber so weit geerdet, dass er auch seine Seelenpein unverstellt glaubhaft machen kann. Da sind dann auch die letzten Worte in „Des Baches Wiegenlied“ bloß noch gehaucht, in einer berückenden und berührenden Pianokultur seines klar zeichnenden, verständlichen und in allen Registern ausgewogenen Baritons. Der große innere Spannungsbogen bis dorthin gelingt ihm in beeindruckender Wandlungsfähigkeit und Darstellungskraft. Wesentlichen Anteil am Gelingen hat sein deutscher Klavierpartner Sascha El Mouissi (35), der die Geschichte in innigem Gleichklang mitlebt und mitleidet.
Alfred Brendel als Mentor
In seiner verblüffenden Geläufigkeit erinnert er frappant an Lang Lang, in puncto Musikalität hat er den älteren Kollegen bereits überholt. Der 26-jährige amerikanische Pianist Kit Armstrong absolvierte gestern spätnachmittags vor vollem Haus das erste seiner drei Konzerte bei diesem Festival-Teil. Der Künstler tritt nach eigener Aussage nur an „handverlesenen, feinen Orten“ auf. Sein diesmal anwesender Mentor Alfred Brendel hat ihn einmal als „Wunderkind“ bezeichnet. Daraus ist heute einer der erstaunlichsten jungen Pianisten geworden, auch ein Denker, der die Hintergründe der Werke erforscht. So ergibt seine ausgeklügelte Programmfolge diesmal eine Readers-Digest-Fassung der Entwicklungsgeschichte der Wiener Klassik. Der späte Haydn, der mittlere Mozart und der frühe Beethoven nehmen den Romantiker Schubert mit dessen früher, ganz nach diesen klassischen Vorbildern ausgerichteten A-Dur-Sonate in ihre Mitte. So wird daraus ein Programm von großer stilistischer Geschlossenheit.
Nur einmal langt er am Steinway kräftig zu, bei Beethovens sechs Variationen F-Dur, ansonsten bleibt er seinem Ruf als „Meister der leisen Töne“ treu. Diese Zurückhaltung, die er ausstrahlt, bekommt vor allem der melodiös sonnigen Schubert-Sonate, die er mit größter Natürlichkeit ausstattet. Dazwischen gibt sich der Pianist gerne auch launig verspielt mit Flötenuhrstücken von Haydn oder Mozarts weit gewichtigerer Fantasie f-Moll für eine Spieluhr und setzt mit dessen brillant exekutierter B-Dur-Sonate noch eins drauf. Unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit Kit Armstrong über diese Vielfalt des Ausdrucks den großen Atem seines klassischen Musikverständnisses zu spannen versteht, nichts übertreibt, aber für seine begeisterten Zuhörer auch nichts schuldig bleibt.

Die aktuelle Schubertiade läuft bis 5. Mai in Hohenems. Siehe Wohin-Teil.