Ein Meisterstück, das Ängste und Grauen weckt

„Wir“ ist ein Film, der lange nachhallt – aus verschiedensten Gründen.
Horror Er hat es wieder getan: Nachdem Jordan Peele vor zwei Jahren mit seiner gesellschaftskritischen Horrorsatire „Get Out“ für offene Münder sorgte und nebenbei einen Oscar für das beste Drehbuch einheimste, ist der US-Amerikaner nun mit seiner neuesten Arbeit zurück. Nicht minder gelungen, darf man sich ab Donnerstag in „Wir“ gruseln – und das in erster Linie vor sich selbst. Erneut als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion tätig, wagt sich Peele diesmal etwas weiter in genretypische Konventionen vor, ohne aber dabei seinen besonderen Twist hintanzustellen. Dabei kann auch der 40-Jährige der grassierenden 80er-Nostalgie nicht ausweichen und erzeugt mit einer 1986 angesiedelten Einleitung nicht nur die atmosphärisch dichte Stimmung für das, was noch folgen soll, sondern hält bereits hier allerlei Referenzen bereit.
Die kleine Adelaide besucht in jenem Jahr, als die Benefizveranstaltung „Hands Across America“ über sechs Millionen Menschen zusammenführte, um Geld für Obdachlose zu sammeln, einen Rummelplatz am Strand. Schrille Fahrgeschäfte, eifriges Treiben, laute Menschen – was normalerweise für eine ausgelassene Stimmung sorgt, wird bei Peele zur einschüchternden Umgebung, in der das Mädchen einem traumatischen Erlebnis ausgesetzt wird.
Schockmomente
Mehr als 30 Jahre später kehrt die erwachsene Adelaide (Lupita Nyong‘o) mit ihrer vierköpfigen Familie an diesen Ort zurück. Es ist Sommer, das Ferienhaus birgt alte Erinnerungen und erst recht der Besuch des Strandes offenbart die ersten kleinen Schockmomente. Doch während sich Gatte Gabe (Winston Duke) mit einem befreundeten Paar (Elisabeth Moss und Tim Heidecker) im Spiel „Wer ist reicher?“ abplagt, muss Adelaide zusehends erkennen, dass Verdrängung keine Option ist. Erst recht nicht, als am Abend vier mysteriöse Gestalten in der Einfahrt der Familie auftauchen.
Es ist ein kleines Meisterstück, wie Peele bis zu diesem Zeitpunkt die Spannung aufbaut, gemeinsam mit Kameramann Mike Gioulakis („It Follows“) mit viel Liebe in jedes Detail geht und das richtige Gespür für gelungene Bildkompositionen an den Tag legt, bevor die Hölle losbricht. Denn sobald „Wir“ in Richtung Home Invasion kippt, erkennt man: Die ungebetenen Besucher entpuppen sich als rot gewandete Doppelgänger der Familie. Und schon geht es ordentlich zur Sache. Dennoch bleibt „Wir“ nicht an der Oberfläche kleben, wird kein reines Gemetzel oder gar eine Jump-scare-Orgie. Peele hat viel Spaß daran, falsche Fährten zu legen oder gewisse Details anzudeuten, die weit über die üblichen Horroringredienzien hinausreichen. Vor allem aber sind es etliche Seitenhiebe auf den sogenannten American Dream und seine Kehrseite, die hier nach allen Regeln der Kunst zelebriert werden.
Selbst wenn die Auflösung diesmal nicht ganz so befriedigend wie in „Get Out“ ausfällt, sollte Peele ein weiterer Erfolg sicher sein. Es sind ikonografische Auflösungen, die er immer wieder für seine Szenen findet. Zudem ist es Freude und Horror zugleich, Oscargewinnerin Nyong‘o in ihrer Doppelrolle zu erleben. Dem steht allerdings der restliche Cast, allen voran Filmtochter Shahadi Wright Joseph, in kaum etwas nach. „Wir“ sollte seine Anhänger weit über die Genrespezialisten hinaus finden, ist es doch ein Film, der noch lange nachhallt. Aus verschiedensten Gründen.

Wir
Regie Jordan Peele
Darsteller Lupita Nyong’o, Winston Duke, Elisabeth Moss, Tim Heidecker, Anna Diop
Start 21. März
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