Literaturstreit anno dazumal
Gleich zwei Anlässe gibt in diesem Jahr, um des großen Franz Michael Felder zu gedenken: Sein Geburtstag jährt sich zum 180., sein Todestag zum 150. Mal. Und so gibt es natürlich eine Reihe von Veranstaltungen des nach ihm benannten Vereins, der vor 50 Jahren gegründet wurde, die direkt oder auch indirekt an den Dichter aus Schoppernau erinnern. Und nachdem sich der Verein nicht nur um Felder, sondern auch grundsätzlich um Literatur aus Vorarlberg kümmert, gab es im ORF in Dornbirn ein Gespräch, in dem an den „Fall Natalie Beer“ erinnert wurde. Denn im Jahre 1983 führte Michael Köhlmeier – er stand noch am Anfang seiner literarischen Karriere – mit der bekannten Dichterin ein Interview, in dem das damalige Aushängeschild der offiziellen Vorarlberger Literatur offen bekannte, nach wie vor zu den Ideen des Nationalsozialismus zu stehen. Es war kein „Fall“, es war ein Skandal, der eigentlich ohne Folgen blieb. Natalie Beer erhielt von der Vorarlberger Landesregierung und auch vom Bund weiterhin eine Grundrente.
“Vielleicht sollte man diese Auseinandersetzung einmal dokumentieren, vielleicht sollte man auch wieder mehr über Literatur und Kunst streiten.”
Es war interessant, über diese Seite der Vorarlberger Literaturgeschichte zu sprechen. Ebenso spannend wäre es gewesen, noch einige Jahre weiter zurückzugehen. Denn schon 1977 gab es einen Skandal fast größeren Ausmaßes. Anfang der siebziger Jahre wurden in der Reihe „Zeitwörter“ neben österreichischen Autoren wie Wolfgang Bauer oder Friederike Mayröcker auch die Vorarlberger Autoren Oscar Sandner, Ingo Springenschmid und Michael Köhlmeier veröffentlicht. Und kurze Zeit später erschien der erste Band der „Neuen Texte aus Vorarlberg“, herausgegeben vom Felder-Verein, in dem nahezu alle heute bekannten Autorinnen und Autoren des Landes in Prosatexten vorgestellt wurden. Und diese geballte Ladung zeitgemäßer Vorarlberger Literatur wurde in einem (privaten) Brief von Eugen Thurnher, dem damals wichtigsten Vorarlberger Germanistik-Professor an der Universität Innsbruck, schlichtweg als „Dreck“ bezeichnet. Dieser Brief wurde in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung abgedruckt. Die Folgen waren dramatisch: Ganze Seiten und Leserbriefspalten wurden gefüllt, die meisten waren entsetzt über Thurnher, wenige schlossen sich seiner Meinung an. Außer zu Felders Zeiten wurde in Vorarlberg nie so viel und so heftig über zeitgenössische Literatur diskutiert. Und das war wunderbar. Vielleicht sollte man diese Auseinandersetzung einmal dokumentieren, vielleicht sollte man auch wieder mehr über Literatur und Kunst streiten. Möglichst heftig.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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