Die Italiener jenseits der Alpen

Kultur / 10.05.2019 • 19:19 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Der Auftritt von Markus Pferscher und seiner tonart sinfonietta bei der Emsiana-Eröffnung hatte Klasse. Mathis/Veranstalter
Der Auftritt von Markus Pferscher und seiner tonart sinfonietta bei der Emsiana-Eröffnung hatte Klasse. Mathis/Veranstalter

Musikalische Perlen und prominenter Festredner bei der Emsiana.

Hohenems Man sieht es der kleinsten Stadt Vorarlbergs nicht sofort an, aber in Hohenems geht es „italienisch“ zu. Denn der zweite Blick enthüllt, was der Titel des 11. Kulturfests Emsiana verspricht: Das zieht seine Wurzel zum einen aus Hochzeiten und Verbandelungen zwischen Hohenems und Rom, zum anderen aus dem regen Handel, der zum Beispiel auch zwischen Triest, Bozen, Venedig, Livorno und eben Hohenems getrieben wurde. Nun braucht, was ein ausgewachsenes Festival ist, ja auch eine Eröffnung. Die wiederum ist bei der Emisana bekannt dafür, dass neben musikalischen Perlen auch prominente Festredner zu tagesaktuellen Ereignissen kritisch ihre Stimme erheben. Beides gab es auch bei der Eröffnung im Markus Sittikus-Saal.

Das hatte Klasse

Italien war unter anderem durch Rossinis Ouvertüre zur Oper „Il signor Bruschino“ oder Johann Strauß Sohns zart-schwelgenden Walzer „Wo die Citronen blüh’n!“ vertreten. Und man muss Markus Pferscher und seiner tonart sinfonietta wirklich ein Kompliment aussprechen: Das hatte schon Klasse. Dann aber Bühne frei für Raffaela Witzemann und Jürgen Ellensohn. Die 17-jährige Witzemann ist eines jener Talente am Klavier, für die Musik hörbares Lebenselixier ist. In Hohenems war sie zu Gast mit Chopins Etude in c-moll op.10 und einer Mazurka in a-moll. Und als sie zu spielen begann, breitete sich beinah andächtige Stille im Saal aus. Gänzlich anders dann Jürgen Ellensohn an der Trompete. Für die Ohren gab es Bellinis Konzert in Es-Dur, das er ja eigentlich für Oboe geschrieben hatte und das in Hohenems in einer Neufassung für Trompete zu hören war. Auch hier: ein glasklarer, sicherer Klang und einfach nur schöne Musik.

Nun gräbt ein Festival wie die Emsiana, mit seinem Programm ja nicht nur in der Vergangenheit der eigenen Lebenswelten, sondern spitzt auch immer die Ohren und streckt die Fühler aus nach Aktuellem, das es wert ist, in Hohenems gehört zu werden. Heuer wurde man mit dem Deutschen Harald Welzer, Sozialpsychologe, Soziologe und Mitbegründer der Stiftung Futurzwei, fündig. Sein Thema: Das Weiterbauen am zivilisatorischen Projekt. Seine These: Als Gesellschaft haben wir lange geschlafen und darauf vertraut, dass alles gut weiterlaufen wird. Jetzt aber sei es Zeit, aufzuwachen.

„Denn es wäre ja alles so schön, wenn alles einfach so schön wäre“, stellte er fest. Das zivilisatorische Projekt der Moderne habe unsere Gesellschaft an einen Punkt gebracht, der in der ganzen Geschichte der Zivilisation so noch nicht erreicht worden ist. „Wir leben heute in einer Gesellschaft mit einer rechtstaatlichen Verfassung, mit einem bisher unerreichten Maß an Freiheiten und einem bisher unerreichten Maß an Sicherheit. Bedenklich ist allerdings, dass sich in unserer Gesellschaft eine Konsensverschiebung bemerkbar macht, die bis hinein in die Regierungen reicht“, so Welzer. Die Idee unserer Gesellschaft wäre, „eine Gesellschaft unter Gleichen, eine freundliche Gesellschaft. Ein Weiterbauen am zivilisatorischen Projekt hieße dann, daran zu arbeiten, dass die Verhältnisse unter den Menschen besser werden.“ Genau hier verortete Welzer in der gesellschaftlichen Großwetterlage eine Verschiebung. „Jetzt können wir uns natürlich fragen, warum wir diese Entwicklung so lange nicht bemerkt haben. Das ist, weil diese Entwicklungen immer sukzessive vor sich gehen.“ Schritt für Schritt und manchmal auch schleichend verändert sich da etwas in der Übereinkunft einer Gesellschaft.

Kräftiger Applaus

Als einen Gradmesser für diese Erosion verortete Welzer auch die aktuellen Demonstrationen. „Haben Sie bemerkt, derzeit demonstriert man kaum gegen etwas, sondern immer für etwas?“, erklärte der Soziologe mit analytischem Blick auf die direkte Gegenwart. „Und noch etwas, Demokratien gehen nie an einem Zuviel an Feinden zu Grunde, sondern an einem Zuwenig an Freunden.“ Der Applaus, den er für seine kritischen Worte erntete, war kräftig, die Stimmung nachdenklich und im als traditionelle Zugabe gespielten Emser-Lied, das den vielgeliebten Heimatort besingt, klang die Frage nach der Heimat noch ein bisschen nach. So wurde der Abend zu einer Eröffnung, die haargenau zu einem Festival mit Ecken und Kanten – wie es die Emisana ist – passte. VN-VF

„Derzeit demonstriert man kaum gegen etwas, sondern immer für etwas.“

Die „Emsiana“ mit Ausstellungen, Konzerten, Lesungen, Filmvorführungen und Themenführungen dauert noch bis zum 12. Mai. Das Programm unter: www.emsiana.at