Gegen die Regierung eintreten

Kultur / 23.05.2019 • 21:05 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bérénice Hebenstreit hat in der Ausstattung von Mira König inszeniert. Die Handlungszeit des Stücks wird zitathaft in den Kostümen angedeutet.
Bérénice Hebenstreit hat in der Ausstattung von Mira König inszeniert. Die Handlungszeit des Stücks wird zitathaft in den Kostümen angedeutet.

Landestheater beendet Spielzeit im großen Haus mit “Der Flüchtling” von Hochwälder.

Bregenz Er musste selbst flüchten, und zwar über den Alten Rhein in die Schweiz. Fritz Hochwälder hat ihn in einem günstigen Moment durchwatet und durchschwommen, mit dem letzten Hab und Gut auf dem Kopf, um überleben zu können bzw. um sich in der Schweiz unter harten Bedingungen eine neue Existenz aufzubauen. Österreich, das gerade in Nazi-Deutschland aufgegangen war, stellte sich für den gelernten Tapezierer und ambitionierten Schriftsteller nur noch als Bedrohung dar, viele Mitglieder seiner jüdischen Wiener Familie wurden ermordet. Zu den bekanntesten Werken von Fritz Hochwälder (1911-1986) zählen „Das heilige Experiment“ über den Konflikt zwischen Gewissen und Gehorsam und „Der Himbeerpflücker“ über ein Nachkriegsösterreich, in dem Täterschaft und Mitläufertum vertuscht werden. Obwohl ab den 1950er-Jahren oft gespielt, ist das zu Kriegsende entstandene Drama „Der Flüchtling“ mittlerweile weniger bekannt.

Intendantin Stephanie Gräve hat es zum Finale ihrer ersten Spielzeit am Vorarlberger Landestheater auf das Programm gesetzt. Ungeachtet absolut aktueller Ereignisse in Österreich, ist ihm im gegenwärtigen Europa (traurige) Brisanz beschieden. „Aktuell ist die Frage, inwieweit wir uns sicher sein können, dass wir dann, wenn politische Entscheidungen getroffen werden, die wir nicht vertreten können, bereit sind zu handeln bzw. gegen die Regierung einzutreten“, erklärt Bérénice Hebenstreit im Gespräch mit den VN. Die Regisseurin, die etwa am Wiener Burgtheater gearbeitet hat und am Volkstheater die Bühnenadaptierung des Nachkriegsromans „Watschenmann“ von Karin Peschka umsetzte, hat Hochwälders Text inszeniert. „Wichtig ist mir die Korrelation zwischen der persönlichen Haltung und der eigenen Handlung“, sagt sie. „Inwieweit verändert das, was passiert, meine Haltung? Im Stück gibt es die Frau, die einem Menschen das Leben rettet und das System um sie herum von da an ganz anders wahrnimmt.“

Bezug zur Region

Aus heutiger Sicht ist es klar lesbar, dass das Stück von Hochwälder in der Zeit des Faschismus spielt, obwohl die Zeit im Text nie wirklich genannt wird. Es wird auch ein Dreiländereck erwähnt, woraus die Zuschauer den Bezug zur Region ableiten können. „Wir belassen das Stück in seiner Zeit, ohne das deutlicher zu machen, als es im Stück vorkommt.“ Die zuweilen blumige und thesenhafte Sprache sei durchaus eine Herausforderung gewesen, letztendlich lösten die moralischen Thesen aber ein durchaus beklemmendes Gefühl aus. Im Zentrum steht für Hebenstreit ohnehin die Frage, wann der Widerspruch zwischen einem politischen System und der eigenen Haltung so groß ist, dass man sich widersetzt: „Auch heute lässt sich erfahren, dass man merkt, wie schwer es ist, gegen die angenommene gesellschaftliche Ordnung handeln zu müssen.“

Bérénice Hebenstreit wird in der kommenden Spielzeit am Vorarlberger Landestheater das Familienstück „Vevi“ inszenieren. Es handelt sich dabei um die Adaptierung des gleichnamigen wiederentdeckten Kinderbuchs der österreichischen Autorin Erica Lillegg (1907-1988) über ein starkes Mädchen.

„Micht interessiert die Frage, wann ich mich einem System widersetzen muss.“

Szene aus „Der Flüchtling“ von Fritz Hochwälder in der Produktion des Vorarlberger Landestheaters, die am Freitagabend Premiere hat. VN/Paulitsch (2), APA (1)Bére
Szene aus „Der Flüchtling“ von Fritz Hochwälder in der Produktion des Vorarlberger Landestheaters, die am Freitagabend Premiere hat. VN/Paulitsch (2), APA (1)Bére
Gegen die Regierung eintreten

Die Premiere von “Der Flüchtling” findet am Freitag, 24. Mai, 19.30 Uhr, im Theater am Kornmarkt in Bregenz statt. Weitere Aufführungen: www.landestheater.org