Revolution mit Witz und Hirn

Tobias Kratzer beschert den Bayreuther Festspielen einen “Tannhäuser”, der Grenzen des Operngenres aufreißt.
Bayreuth Zitate gibt es viele in dieser Neuinszenierung von Richard Wagners 1845 uraufgeführter romantischer Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“. Eines ist gleich bei der filmisch unter-, nein übermalten Ouvertüre erfahrbar. Wird dem Clown, als der Tannhäuser hier auf der Suche nach einem Lebensentwurf ist, doch Brausepulver à la Volker Schlöndorffs Verfilmung der „Blechtrommel“ von Günter Grass gereicht. Oskar Matzerath tritt auch selbst auf. Im Laufe der Handlung wird dies absolut nachvollziehbar und zu Beginn erlaubt sich Regisseur Tobias Kratzer auch einen Gag. Auf ihrer Fahrt im alten Caravan kommen Tannhäuser und Venus auch an einer Biogasanlage vorbei. „Mangels Nachfrage geschlossen“, heißt es auf einem Schild. Die letzte „Tannhäuser“-Inszenierung in Bayreuth brachte Sebastian Baumgarten in der Tat wenig Glück und bescherte der Produktion nur eine kurze Laufzeit. Warum hat er die Story aber auch als Gärprozess in einen Biotank verlegt?
Tobias Kratzer wird es anders ergehen. Der Bayer, den man in der Region von einer fulminanten Idee zur Umsetzung von Puccinis „Edgar“ am St. Galler Klosterhof bestens in Erinnerung hat und der sich mit den preisgekrönten „Meistersingern“ in Karlsruhe für die Festspiele empfahl, erfährt nicht nur auf dem Grünen Hügel von Bayreuth, wo man neben dem „Tannhäuser“ heuer einige Wiederaufnahmen anbietet, viel Aufmerksamkeit. Die höchst traditionsreichen Opernfestspiele haben sich mit diesem „Tannhäuser“ auch noch weit über Salzburg hinaus ins Gespräch gebracht. Die Produktion wird wohl länger im Programm bleiben, das darf man vorwegnehmen, auch wenn ob eines langen Filmintros leichte Irritation hörbar wird. Ein Drohnenflug über die Wartburg mit besagter Fahrt durch die waldreiche Landschaft entpuppt sich als probate Hinführung zu einer Interpretation des Stoffs, die die Entstehungszeit, also Wagners Sturm-und-Drang-Jahre, ebenso berücksichtigt wie Tannhäusers Austesten von künstlerischem Ausdruck und Lebensart, Moral und Verhaltensnormen.
Lebendigkeit des Musiktheaters
Dass die mit Wagners Erlösungsthema überladene Geschichte nicht gut ausgeht, dass der spätere Meister in einem seiner Frühwerke den Trieb auf der einen Seite mit Venus und die Keuschheit auf der anderen mit Elisabeth verankerte, stellt Regisseure vor ziemliche Herausforderungen. Kratzer und sein Team, bestehend aus Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Manuel Braun (Video), hängen der Venus gleich noch Ingredienzien der Popkultur an und drängen Elisabeth in den Bereich der Hochkultur. Aber siehe da, es wirkt keineswegs platt, sondern es funktioniert. Selbstverständlich muss tief geschürft, müssen die filmischen Szenen, die viel von der inneren Befindlichkeit der Figuren vermitteln, mit den Spielhandlungen perfekt koordiniert werden. Wenn da auch noch Ironie dazukommt, wenn etwa die Dragqueen aus dem Gefolge von Venus die Galerie namhafter Dirigenten im Gang des Festspielhauses abschreitet, wenn die queere Lebensform ebenso Berücksichtigung findet und wenn am Ende noch gezeigt werden kann, wie die Popkultur vom Kommerz verschluckt wird, hat die Inszenierung eine Vielschichtigkeit erreicht, die die Lebendigkeit des Musiktheaters repräsentiert. (Für die Sänger und den Chor gilt das auch, für das Dirigat nicht unbedingt, aber dazu später.) Dabei ist das szenisch ja noch lange nicht alles. Elisabeths Sehnsucht kommt in einer Liebesszene mit Wolfram so berührend zum Ausdruck wie es nur irgendwie geht und am Ende hat sich für die Handelnden zwar nichts erfüllt, aber für das Musiktheater. Ein Zwischenspiel mit den mitwirkenden Künstlern Le Gateau Chocolat und Manni Laudenbach in der Pause im frei zugänglichen Park mag es zusätzlich betont haben, doch nicht nur mit den Filmszenen vor dem Haus und der bestens überlegten Einbeziehung des Wagner-Spruchs „Frei im Wollen, frei im Tun, frei im Genießen“ hat sich gezeigt, wie Grenzen des Genres aufzureißen sind. Oper für alle, das ist gerade in Bayreuth ein nahezu revolutionäres, kulturpolitisches Statement.
Man braucht es nicht schönzureden, das Publikum hört es, Valery Gergiev hat die besondere Akustik dieses Hauses nicht absolut im Griff, aber Stephen Gould (Tannhäuser) gestaltete die Rolle auf allerhöchstem Niveau, Lise Davidsens (Elisabeth) Präzision und Farbgebung ist eine Erfahrung für sich, Elena Zhidkova (Venus) erweist sich mit Kraft und Darstellungsvermögen als Traumbesetzung und Markus Eiche zieht als Wolfram in den Bann. Folgerichtig gibt es in dieser Inszenierung keine Erfüllung, aber die Gewissheit, dass gerade hochintelligent umgesetztes Musiktheater einen hohen, einnehmenden Unterhaltungswert erreicht.

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