Johannes Brahms in Vollendung

Philippe Jordan und die Wiener Symphoniker begeisterten auch bei den Symphonien Nr. 3 und 4.
BREGENZ Montagabend, zweiter Teil des Brahms-Zyklus der Festspiele mit den Wiener Symphonikern unter ihrem Noch-Chef Philipp Jordan mit den Symphonien Nr. 3 und 4. Der Beifall des wieder vollen Hauses für die Akteure war auch beim zweiten Mal zwar lange und herzlich, aber nicht mehr so euphorisch wie beim Erfolg am Sonntag. Man hat sich rasch an das Besondere gewöhnt, der künstlerische Ausnahmezustand ist zur Selbstverständlichkeit geworden.
So ein Zyklus kann in seiner Besonderheit auch seine Tücken haben. Das hat man im ersten Konzert gespürt, als der Begeisterungspegel nach der grandiosen Ersten mit der eher gemächlichen Zweiten deutlich abgeflacht ist. Und man fragt sich, ob es aus dramaturgischen Gründen nicht erlaubt gewesen wäre, die beiden Werke einfach umzudrehen, um zu einem rauschenden Finale zu gelangen. Aber das hat sich aus musikologischer Sicht letztlich doch niemand getraut, denn Zyklus bleibt eben Zyklus, und zwar in der angestammten Reihenfolge. Es eröffnet sich aber noch ein weiterer Aspekt dieses genialen Symphonien-Quartetts, das Dirigent Philippe Jordan in einem übergeordneten Sinne gemeinsam als so etwas wie eine zusammenhängende Symphonie von monumentalen Ausmaßen erkennen will. Gar manchem Zuhörer mag sich diese besondere Sichtweise in den beiden Konzerten erschlossen und ihn zu neuen Einsichten in die vielfältige Klangwelt dieses Komponisten geführt haben.
Beim diesem zweiten Konzert aber hat Johannes Brahms selbst mit seinen beiden letzten Symphonien für die erwünschte Steigerung innerhalb des Programms gesorgt, von dem musikgewordenen Naturwunder der Dritten zu der mit ihrer Passacaglia spektakulär aufrauschenden Vierten, die sich unerwartet ganz still und leise aus dem Staub macht. Das deutsche Schlitzohr Brahms sorgt eben immer wieder für Überraschungen. Beide Werke sind enorme Herausforderungen an Dirigent und Orchester. Auch diesmal geht es Jordan, dem Maestro von Weltformat, nicht um Rekorde in einem einzigartigen Brahms-Marathon, sondern um die Offenlegung einer spannenden, zeitgemäßen, sehr individuellen Innenschau dieser gerne gepflegten Meilensteine der Orchesterromantik, ohne deren Tradition als Basis aus den Augen zu verlieren.
Fabelhafter Konzertmeister
Besonders leicht fällt das mit der Dritten in F-Dur, diesem hornselig naturhaften Quell mit seinen wunderbar gestalteten Holzbläser-Soli, aus dem später auch Mahler geschöpft hat. Jordan gelingt es, mit seinen Musikern ein transparentes Klangbild zu schaffen, bei aller feinen Detailarbeit auch die großen Bögen über die Fülle der Themen und Klänge zu spannen, bei der alles auf den berühmten dritten Satz mit seinem Seufzermotiv in den Streichern wartet. Kein Anlass für Jordan, daraus einen Schmachtfetzen zu machen, wie man es oft hört. Seine nach oben offene Gefühlsskala bleibt im unteren Bereich. Die in der Brahms-Hitparade bei Publikum wie Musikern ganz oben rangierende Vierte in e-Moll ist dann eine Art Summary früherer symphonischer Erkenntnisse, die im groß besetzten romantischen Orchester in ihrem ganzen Farbreichtum aufblühen, in wunderbarer Balance zwischen dem samtig klangschönen Streicherapparat, diesmal mit dem fabelhaften Anton Sorokow am Konzertmeisterpult, und den exzellenten, klangschönen Bläsersolisten. Es bleibt der Eindruck: Was wir da eben erlebt haben, ist schlichtweg Brahms in Vollendung.
„Die Zusammenarbeit mit diesem Orchester war die bisher glücklichste Zeit in meiner Laufbahn“, resümierte Jordan bei seiner letzten Programm-Pressekonferenz in Wien. Nach diesen beiden Konzerten glaubt man ihm aufs Wort. Und es bleibt wohl bei vielen hier etwas Wehmut darüber, dass dieser begnadete Dirigent nach wenigen erfolgreichen Jahren bereits wieder zu neuen Aufgaben an der Wiener Staatsoper aufbricht. Sein endgültiger Abschied in Bregenz ist bei den Festspielen 2020 geplant.
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